Recruitment auf dem Gaming-Arbeitsmarkt in Zeiten von Massenentlassungen

Die negativen Nachrichten scheinen nicht abzureißen: Fast täglich melden Spielestudios rund um den Globus, dass sie MitarbeiterInnen entlassen. Die Gründe dafür sind vielfältig – und natürlich stellt sich die Frage, wie es auf dem Gaming-Arbeitsmarkt weitergeht. In Teil 1 unserer Miniserie „Recruitment“ blicken wir zuerst aus der internationalen Perspektive auf die Entwicklung. Dafür haben wir mit ExpertInnen von Rekrutierungsagenturen gesprochen.
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© ag visuell/ stock.adobe.com
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2023 hagelt es förmlich Hiobsbotschaften von Massenentlassungen. Bei Epic Games mussten 830 Leute gehen, bei Unity waren es 900 und bei Niantic 230. CD Projekt Red entließ 100 MitarbeiterInnen, Ubisoft 60, BioWare 50 und Naughty Dog mindestens 25. Auch in Deutschland verloren etliche Games-Fachkräfte ihren Job – sei es nun durch die Schließung von Mimimi Games oder durch die „Neuausrichtung“ von Firmen wie InnoGames, Daedalic Entertainment oder den Flying Sheep Studios. Insgesamt haben dieses Jahr schon mehr als 6000 Fachkräfte eine Kündigung erhalten – das geht aus der Webseite videogamelayoffs.com hervor, auf der Tech Artist Farhan Noor die bekannt gewordenen Entlassungen trackt. Fast täglich kommen neue Meldungen hinzu – und ein Ende scheint nicht absehbar. Oder vielleicht doch?

Raue Mengen
Nun ist es ja nicht so, dass die Games-Branche plötzlich die Bordsteine hochklappt. Nach wie vor werden Spiele in rauen Mengen produziert – allein Steam hat jährlich mehr als 13.000 Releases –, und die Branche zählt immer noch zu den dynamischsten Industriesparten weltweit. Gleichwohl stellt sich die Frage, wie es auf dem Arbeitsmarkt weitergeht – und welche Chancen all jene haben, die gerade einen Job suchen. In unserer zweiteiligen Serie soll es zunächst darum gehen, wie international tätige Recruitment-Agenturen die Lage sehen; Teil 2 dreht sich dann um die Perspektiven deutscher Firmen und Fachkräfte.

Zunächst fällt auf, dass es im DACH-Raum kaum „einheimische“ Agenturen von signifikanter Größe gibt, die auf Arbeitskräfte aus der Games-Branche spezialisiert sind. Zwar gibt es Job-Portale wie games-career.com und gamesjobsgermany.de – doch hinter diesen Datenbanken stehen keine Headhunter oder aktiven Vermittler. Die größten Recruitment-Agenturen findet man im angelsächsischen Sprachraum. Eine gute Übersicht bietet „JD‘s GameJobs List“ – eine Doc-Datei auf Google Drive, die der Game-Designer Jan David Hassel (EA Dice) dankenswerterweise angelegt hat und auch ständig aktualisiert. (Die Liste enthält übrigens nicht nur Links zu den Agenturen, sondern auch viele andere nützliche Ressourcen, etwa zu Job-Portalen, Bewerbungstipps und direkten Stellenausschreibungen von Spielefirmen.) Zu den bekanntesten Recruitment-Agenturen zählen beispielsweise Aardvark Swift, Amiquus, Skillsearch, OPM und Values Value; die meisten von ihnen haben ihren Sitz in UK, kooperieren aber auch mit Spielefirmen in Deutschland. Wie sehen sie die aktuelle Situation?

 

Vor der Krise hatten wir eine sechsmonatige Warteliste

Globale Verwerfungen
Die Agentur Values Value wurde 2017 gegründet. Das ukrainische Unternehmen hat insgesamt 15 MitarbeiterInnen und ein Führungsteam aus sechs Frauen, die die Agenturgeschicke von unterschiedlichen Standorten aus lenken – seit Russlands Angriff auf die Ukraine auch verstärkt aus dem Ausland. „Wir bieten unseren Kunden Rekrutierungs- und Sourcing-Dienste, Beratung in HR und PR sowie Markt- und Gehaltsanalysen“, sagt Firmengründerin Tanja Loktionova, die auch Mitgründerin des Portals InGame Job ist. Values Value bekomme die Auswirkungen der jüngsten globalen Verwerfungen durchaus selbst zu spüren. „Vor der Krise hatten wir eine sechsmonatige Warteliste von KundInnen“, erzählt Loktionova. „Und wir hatten sogar den Luxus, uns aussuchen zu können, für welches Unternehmen wir SpezialistInnen einstellen wollten.“ Die Situation sei jetzt natürlich eine ganz andere, so die Firmenchefin – allerdings habe sich die Agentur darauf mittlerweile eingestellt: „Wir bauen unseren Vertrieb aktiv aus, investieren stärker in die Geschäftsentwicklung und erkunden neue Märkte.“

Loktionova gibt zu bedenken, dass in den Nachrichten nur „offizielle“ Entlassungen auftauchen. „Es gibt aber auch unangekündigte Entlassungen – und davon gibt es viele“, berichtet sie. Der Job-Expertin zufolge sind einige Unternehmen dazu übergegangen, Personal im shadow mode abzubauen – das bedeutet, dass sie ganz bewusst auf übliche Formen der MitarbeiterInnenbindung verzichten. „Es gibt keine Gehaltserhöhungen, keine Leistungsbeurteilungen, keine Optimierung der Vergütungsprogramme und so weiter“, berichtet Loktionova. „Wir wissen von einem großen Unternehmen, in dem – mit einer solchen Politik – in eineinhalb Jahren 700 MitarbeiterInnen entlassen wurden.“

Silberstreif am Horizont
Dass sich die Lage auf dem Job-Markt schlagartig wieder bessert, glaubt Loktionova – angesichts der aktuellen militärischen Konflikte – eher nicht. „Es ist wahrscheinlich nicht angebracht, von einer Rückkehr zu den Zahlen von 2021 zu sprechen“, sagt sie. „Dennoch ist es unwahrscheinlich, dass die Games-Industrie einen dramatischen Niedergang erleben wird.“ Loktionova sieht einen Silberstreif am Job-Horizont, denn „im Herbst haben sowohl wir als auch unsere KollegInnen einen Anstieg der Nachfrage nach Rekrutierungsdienstleistungen festgestellt“. Die Unternehmen würden gerade generell sehr vorsichtig und behutsam einstellen, beobachtet die Expertin: „An die Stelle von Masseneinstellungen sind gezieltes Headhunting und die Konzentration auf Bindung und Förderung wichtiger Mitarbeiter getreten.“ Statt Mass Hiring werde nun oft Outsourcing gewählt.

 

Für viele Menschen in der Branche ist es eine schwierige Zeit

Doch was sind eigentlich die Job-Profile, die selbst in einer kriselnden Branche noch unverdrossen nachgefragt werden? Auch hier hat Loktionova einiges zu berichten: „Wir beobachten einen kontinuierlichen Bedarf an erfahrenen Game-DesignerInnen, EntwicklerInnen – sowohl für Unity als auch speziell für Unreal – sowie Artists.“ In letzter Zeit habe man auch einen wachsenden Bedarf an Marketing-SpezialistInnen festgestellt. Der Statistik von InGame Jobs zufolge wurden 2023 bisher vor allem ProgrammiererInnen, Artists, Animators, Game-DesignerInnen und ProduzentInnen gesucht, so Loktionova. Speziell die Nachfrage nach C-Level-Personal sei immer noch hoch: „Der Wettbewerb der Unternehmen um Supertalente  hat nicht nachgelassen.“

Gefragte Nischen
Giles Fenwick ist Director Games & Interactive bei Skillsearch. Die britische Recruitment-Agentur wurde bereits 1990 gegründet und setzt seit nunmehr 13 Jahren ihren Schwerpunkt auf die Games-Branche. Die meisten der gut 30 MitarbeiterInnen sitzen im Hauptquartier in Brighton – und arbeiten von dort aus mit Studios in Europa, Nordamerika und der Asien-Pazifik-Region zusammen. Fenwick bestätigt, dass sich die am stärksten nachgefragten Qualifikationen nicht verändert haben. Ganz vorne liege nach wie vor das Coding – „besonders von Personen mit Nischenqualifikationen, zum Beispiel Server-Developer oder Tool-Programmierer“. Die meisten Entlassungen habe es in anderen Bereichen gegeben, etwa im Publishing, in der Quality Assurance und im Marketing. „In diesen Bereichen gibt es nun sicherlich weniger Möglichkeiten“, sagt Fenwick. Viele Fachkräfte, die schon vor Beginn der Kündigungswelle auf Jobsuche waren, müssten nun noch länger auf Vorstellungsgespräche warten, so der Experte. Der Grund: Etliche Studios schauen sich nun zuerst die Talent Pools an, die durch die vielen Entlassungen entstanden sind.

Laut Fenwick sind die derzeitigen Entlassungen eine Art Ausgleich für die pandemischen Wachstumsjahre. „Die Branche hatte sich problemlos an die Arbeit aus dem Home Office angepasst, der Verbrauchermarkt florierte“, so der Recruiter. „Investoren, die normalerweise nicht in Games investiert hätten, steckten Geld in den Sektor – und die Unternehmen stellten massenhaft MitarbeiterInnen ein.“ Leider erlebe man nun eine Neujustierung und eine Rückkehr auf das vorpandemische Wachstumsniveau, so Fenwick: „Für viele Menschen in der Branche ist es gerade eine schwierige Zeit.“ Der Fachmann betont aber auch, dass es „da draußen immer noch Möglichkeiten und Unternehmen gibt, die neue MitarbeiterInnen einstellen wollen“. Fenwick hofft, dass die Branche im kommenden Jahr eine Phase der Stabilität erreicht. „Und ich hoffe, dass die Unternehmen, wenn sie wachsen, dies auf nachhaltige Weise tun.“

 

Nicht besonders nachhaltig

Remote-Herausforderung
Das Thema „Nachhaltigkeit“ liegt auch Tanja Loktionova am Herzen. „Wenn es so viele verfügbare Fachkräfte auf dem Markt gibt, dann haben es die Juniors am schwersten“, gibt sie zu bedenken. Values Value beobachtet, dass die Zahl der freien Stellen für BerufseinsteigerInnen bis 2023 um etwa den Faktor 10 zurückgegangen ist. Viele Unternehmen seien nicht – oder nicht mehr – uneingeschränkt bereit, Zeit und Geld in junge Nachwuchskräfte zu investieren. „Wir leben in einer postpandemischen Zeit, in der in den meisten Unternehmen hybrid oder dezentral gearbeitet wird – und nicht alle MitarbeiterInnen wieder zurück im Büro sind“, erläutert Loktionova. Gerade die Integration und Betreuung von Nachwuchskräften sei aber remote sehr schwierig – mit der Folge, dass sich die meisten Unternehmen bei Neueinstellungen für BewerberInnen der Level B und C entschieden.

Loktionova kritisiert dieses Vorgehen als nicht besonders nachhaltig: „Wen werden wir in fünf Jahren einstellen, wenn wir jetzt keine Trainee-Projekte ins Leben rufen, keine Junioren einstellen, sie nicht ausbilden und ihnen nicht die Gelegenheit geben, Geschäftserfahrungen zu sammeln?“ Dadurch entstehe eine Lücke, die nur schwer zu füllen sei. Dass viele Firmen so stark auf erfahrene BewerberInnen fixiert sind, ist auch ein Problem für den Nachwuchs, der von Hochschulen kommt. Tatsächlich strömen von dort immer mehr gut ausgebildete Fachkräfte auf den Arbeitsmarkt, ohne dass die Nachfrage entsprechend steigt (vgl. IGM 05/2023). Wer Studieninteressierten eine Perspektive bieten will, muss das auch mit konkreten Übernahmechancen tun – ansonsten verliert die Games-Branche als Arbeitgeber wieder an Attraktivität.

Schwerpunkt Lernen
Tanja Loktionova geht davon aus, dass Spielefirmen verstärkt in die Förderung ihrer bereits angestellten Arbeitskräfte investieren werden. „Deshalb sollten sich sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer darauf vorbereiten, im nächsten Jahr Zeit ins Lernen und in die Entwicklung ihrer Fähigkeiten zu stecken“, rät die Recruiterin. „Weil die Unternehmen anspruchsvoller werden, kann man auch mit qualitativ hochwertigen Neueinstellungen rechnen.“ Loktionova prophezeit, dass viele Firmen ihren Fokus von hektischer Talent-Akquise hin zu einem ausgewogeneren Ansatz verlagern werden, der Prozesse, Leistung und Unternehmenskultur in den Vordergrund stellt. „Dieser Wandel wird ihnen auch die Möglichkeit geben, ihre HR Brand zu stärken, denn die Krise wird nicht ewig andauern.“

Der Wandel werde bereits im ersten Quartal 2024 spürbar werden, glaubt Loktionova. In vergangenen Krisen habe sich die Branche meist als sehr widerstandsfähig erwiesen – auch deshalb ist die Expertin zuversichtlich, dass die Entlassungswelle mittelfristig abebbt. Das ist nun natürlich ein schwacher Trost für all jene, die bereits ihren Job verloren haben – oder die seit langem erfolglos nach einer Anstellung suchen. Doch ganz so düster, wie manch eine(r) die Branchensituation gerade pinselt, ist sie vielleicht doch nicht. To be continued … (Achim Fehrenbach)

In Teil zwei unseres Specials (IGM 15/2023) lassen wir deutsche Firmen und Fachkräfte zu Wort kommen – und beleuchten auch, wie attraktiv Deutschland als Arbeitsort für internationale EntwicklerInnen ist.

IGM 14/23
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