Anti-Spiele: Schlechte Games und ihre Faszination

So schlecht, dass es schon wieder Spaß macht: Wieso manchmal auch schlechte Spiele ihren Reiz haben – und sich sogar passabel verkaufen können.
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Computer- und Videospiele sollen eigentlich Spaß machen und ein unterhaltsamer Zeitvertreib für die Nutzer sein. Jedes Spiel erzeugt dieses Gefühl der Freude und Genugtuung auf eine andere Art und Weise. Das Fantasy-Epos „Baldur's Gate 3“ beispielsweise saugt Abenteuer-Fans tief in seine Welt hinein und umgarnt sie mit umfangreichen Charakteroptionen. Blizzards Action-Rollenspiel „Diablo 4“ motiviert dagegen mit einer kontinuierlichen Progression und einem nahezu perfekten Spielfluss. Und der Fun-Racing-Klassiker „Mario Kart“ bezieht seinen Spielspaß vor allem aus der Interaktion mit anderen Menschen. Doch während diese Produktionen von Kritikern wie Spielern anerkannte Hits sind und sich millionenfach verkauften, tauchten über die Jahrzehnte auch immer wieder Spiele auf, die auf dem Papier eigentlich keinen Spaß machen sollten: Kaputt, technisch unterirdisch, unfertig oder nicht durchdacht – es gibt viele Gründe, wieso ein Titel ganz einfach „schlecht“ sein kann.

Sex und Gewalt
Wieso Games scheitern, kann verschiedene Ursachen haben: Interne Probleme bei der Entwicklung, Schwierigkeiten mit der Technik, undurchdachtes Spieldesign oder auch das Fehlen eines roten Fadens innerhalb des Produkts. Nicht selten sind es aber gerade die User-Guidance, das Interface und auch die Kontrollen, die Spielern den Einstieg in die Titel maßgeblich erschweren und dadurch sehr schnell negative Bewertungen auf einschlägigen Portalen wie Metacritic oder auch in den Steam-Rezensionen nach sich ziehen.

Kommen im schlimmsten Fall gleich mehrere Faktoren zusammen, dann droht der finanzielle Flop, den man selbst durch provokante Inhalte nicht mehr auffangen kann. Über die Jahrzehnte gab es immer wieder legendär schlechte Spiele, die teils sogar die Grenzen des guten Geschmacks sprengten. Das pixelige „Custer’s Revenge“ (1982) für den Atari 2600 etwa machte sich vor allem durch die Darstellung der angedeuteten Vergewaltigungsszene einer amerikanischen Ureinwohnerin einen Namen, war aber selbst für damalige Verhältnisse ein spielerisches Armutszeugnis. Erotische Abenteuerspiele hatten dank der „Leisure Suit Larry“-Reihe (ab 1987) eine Zeit lang ebenfalls Hochkonjunktur, führten aber teils auch zu absurden Stilblüten wie „Wet Attack: The Empire Cums Back“ (1999) und dessen Nachfolger „Lula 3D“ (2005) oder zur 2009 veröffentlichten „Larry“-Neuninterpretation „Leisure Suit Larry: Box Office Bust“. Diese wirkten wie aus der Zeit gefallen und waren spielerisch und technisch nicht mehr konkurrenzfähig.

Wie aus der Zeit gefallen

Auch übertrieben dargestellte Gewalt schützt vor schlechten Wertungen nicht. Das 2016 veröffentlichte „Hatred“ präsentierte der polnische Entwickler Destructive Creations als stumpfen Amoklauf-Simulator, der gerade im rechten Publikumsspektrum nach Käufern fischte. Der Titel ist in Deutschland wegen Gewaltverherrlichung und Menschenwürdeverletzungen beschlagnahmt. Von Faszination am schlechten Spiel kann an dieser Stelle noch keine Rede sein.

Das Fan-Herz schlägt!
Großer Name, nichts dahinter – so oder ähnlich urteilen Fachpresse und Community sehr oft über Umsetzungen bekannter Marken. Mit dem wachsenden Erfolg von Computer- und Videospielen kamen auch immer mehr Lizenzadaptionen auf den Markt, die den Erwartungen nicht standhalten konnten. Hier stolpert man über Namen wie etwa das legendär miese „E.T. the Extra-Terrestrial“ aus dem Jahr 1982, das 1999 veröffentlichte „Superman 64“ oder Ubisofts Hollywood-Versoftung „Charlie's Angels“ (auf Deutsch: „Drei Engel für Charlie“) von 2003. Die Liste der katastrophal schlechten Film- und Lizenzumsetzungen ist lang und die wenigsten der hier aufgeführten Spiele sind heutzutage noch echte Kult-Hits.

Dennoch verkauften sich Lizenzspiele oft aufgrund ihres Namens: Auch wenn Atari sich von „E.T.“ seinerzeit fünf Millionen Einheiten erwartete (und die übriggebliebenen Atari-2600-Module in der Wüste von New Mexico begrub), erscheinen die abgesetzten 1,5 Millionen Exemplare bemessen an der miesen Qualität des Spiels fast schon als Achtungserfolg. Dass „E.T.“ aber ein absolut katastrophaler Flop war, lässt sich an dieser Stelle nicht wegdiskutieren. Trotzdem zeigen die Zahlen, dass Lizenzen Fans zum Kaufen animieren können – selbst bei geringer Qualität der Produkte. Nicht wenige erinnern sich beispielsweise selig an die Zeiten mit „Enter the Matrix“ (2003) aus der Feder von David Perry und Shiny Entertainemnt oder „Star Wars: Episode 1 – Die Dunkle Bedrohung“ (1999) zurück. Die Mischung aus Nostalgie und Wiedererkennungswert macht hier sehr oft den Reiz aus.

Ein absolut katastrophaler Flop

Dass eine populäre Lizenz aber nicht zwangsläufig auch den großen Erfolg bringt, bewies zuletzt Daedalics „Der Herr der Ringe: Gollum“. Nach einer ohnehin schon holprigen Entwicklung erschien der Action-Schleicher im Mai 2023 und wurde sowohl in der Presse als auch von der Spielerschaft abgestraft: zu unfertig, zu platt, zu wenig Spaß. „Gollum“ scheiterte nur zum Teil, weil es schlecht war. Hauptsächlich aber bereitete es den Nutzern keine Freude und versank binnen kürzester Zeit in der Bedeutungslosigkeit. Weitere bekannte Lizenzgurken der jüngeren Vergangenheit sind etwa „Rambo: The Video Game“ (2014) oder „Ghostbusters“ (2016).

Humor und Neugierde
Ganz egal, ob „Gollum“ oder „Cyberpunk 2077“ – wenn ein Titel zum Start vor Fehlern strotzt, zieht das zunächst eine Welle der Kritik nach sich. Selbst eingefleischten Fans einer Marke können Bugs und Programmfehler das Erlebnis gründlich versalzen. Jedoch kann sich bei derartigen Problemen auch der gegenteilige Effekt einstellen. Nicht selten avancieren kaputte oder zumindest unfertige Spiele zu wahren Publikumsfavoriten, weil darin unberechenbare, mitunter absurde und vor allem lustige Dinge geschehen. Der 2014 veröffentlichte „Goat Simulator“ ist sicherlich ein perfektes Beispiel dafür. Objektiv betrachtet ist das Ziegen-Abenteuer kein gutes, geschweige denn ein auf Hochglanz poliertes Spiel. Subjektiv aber macht das Herumexperimentieren mit den Möglichkeiten der offenen Spielwelt und der darin implementierten Physik-Technik einfach ungemein viel Spaß.

Selbst vermeintlich große Spiele wie „Grand Theft Auto“ profitieren mitunter von der Unberechenbarkeit der eigenen Technik. Gerade weil „GTA“ nicht immer perfekt ist, zugleich aber derart viele Möglichkeiten bietet, ist es so beliebt bei Gamern, aber auch auf Plattformen wie YouTube oder Twitch. Kuriose Spielsituationen und ebenso merkwürdige Momente erzeugen Klicks und Reichweite. Humor ist ein essenzieller Teil dabei, den sich auch Titel wie der skurrile „Surgeon Simulator“ (2014) zunutze machen.

Diese Unberechenbarkeit kreiert bei der Community eine gewisse Neugierde. Auch wenn schlechte Bewertungen und Social-Media-Beiträge abschrecken, so können sie auch das Interesse wecken. Viele möchten sehen, wie schlecht oder wie kaputt ein Spiel wirklich ist. Getreu dem Motto „Pleiten, Pech und Pannen“ generieren Videos und auch Streams mit schlechten Spielen dennoch gute Zahlen und können sogar – wie etwa im Falle des „Goat Simulator“ – einen ganz eigenen Hype erzeugen.

So wenig ein gutes Spiel automatisch erfolgreich ist, genauso wenig ist ein schlechtes zwangsläufig zum Scheitern verurteilt. Manchmal liegt nämlich genau darin auch eine Chance. So sehr man Titel auch in der Produktion auf bestimmte Belohnungsmechanismen streamlinen kann: Es gibt auch immer noch eine Chance für das Absurde und das Andersartige – auch in der Welt der Computer- und Videospiele. (ob/bpf)

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