Schlauer spielen: Künstliche Intelligenz in Games

Die Produktion von Games wird immer aufwendiger. Spielwelten werden immer größer, Stories immer ausgefeilter, die Grafik immer imposanter (vgl. S. 08). Doch ein Bereich scheint in den vergangenen Jahren keine wesentlichen Fortschritte gemacht zu haben – nämliche künstliche Intelligenz. Aber warum ist das so? Und welche bahnbrechenden Neuerungen können wir vielleicht doch in naher Zukunft erwarten? Diesen Fragen widmet sich IGM in einer zweiteiligen Serie.
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© vadymvdrobot /elements.envato.com
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Es gibt Games, denen ein fast schon legendär gute KI zugeschrieben wird. Bestes Beispiel: der Horror-Shooter F.E.A.R. aus dem Jahre 2005. „Auch nach 12 Jahren ist das die Krönung der Shooter-KI“, schreibt Rockpapershotgun.com in einer Re-Review aus dem Jahre 2017. „Besonders beeindruckend wird das Ganze, wenn die KI-Soldaten zusammenarbeiten. Aus dem Stehgreif bilden sie Squads – je nachdem, wie weit sie gerade voneinander entfernt sind. Und dann arbeiten sie im Team, um dich zu erledigen – und sind sich dabei alle dessen bewusst, was die anderen gerade tun.“ Das Marketing von Publisher Sierra hatte für besagtes KI-Verhalten auch gleich einen knackigen Titel parat, nämlich „Goal-Oriented Action Planning“ (GOAP). Auf der GDC 2006 sprach KI-Entwickler Jeff Orkin darüber, wie GOAP funktioniert. Anstatt der KI genau vorzuschreiben, wie sie sich in jeder Situation zu verhalten habe, gebe F.E.A.R. den Soldaten eine Reihe möglicher Ziele und Aktionen vor – und überlasse es dann ihnen, die jeweilige Situation bestmöglich zu meistern. Beispiel gefällig? Fühlen sich die NPCs bedroht, dann ziehen sie sich zurück – aber nur, wenn sie dafür einen sicheren Rückzugsweg haben. Falls das nicht der Fall ist, verschanzen sie sich – und feuern vielleicht blind aus der Deckung, um das Vorrücken des Spielers zu verlangsamen.

Flankieren und kommunizieren
Das klingt alles ziemlich ausgefeilt – vor allem für ein Spiel, das mittlerweile 16 Jahre auf dem Buckel hat. Doch nicht alle ExpertInnen schließen sich dem Narrativ von der legendär guten F.E.A.R.-KI an. Der Shooter habe keine viel ausgefeiltere KI verwendet als andere Spiele dieser Zeit, sagt etwa Mike Cook. In einem Interview mit theverge.com begründet der Forscher von der Royal Academy of Engineering Research (Queen Mary University of London) seine These folgendermaßen: Die F.E.A.R.-Entwickler hätten SpielerInnen vorgegaukelt, gegen besonders intelligente Gegner zu kämpfen – indem die NPCs ihre Ziele kommunizierten, zum Beispiel durch Kommandos wie „Flank“ oder „Backup“.

War die fortschrittliche F.E.A.R.-KI also nur Blendwerk? Darüber lässt sich auch nach anderthalb Jahrzehnten noch trefflich streiten. Auch andere Games, die heutzutage in Best-of-Gaming-KI-Listen auftauchen, sollte man vielleicht etwas nüchterner betrachten. Ist die KI von Spielen wie Shadow of Mordor, Alien: Isolation, Left 4 Dead, Bioshock: Infinite oder Halo wirklich so schlau, wie manche Fans der Spiele gerne behaupten? Nun, diese Frage lässt sich natürlich nicht pauschal beantworten – dafür sind die zum Einsatz kommenden KI-Systeme einfach zu unterschiedlich. Alles hängt auch von der grundlegenden Frage ab, was KI in Computerspielen überhaupt leisten kann – und soll. Eine sehr allgemeine (und deshalb konsensfähige) Definition findet sich beispielsweise auf dataconomy.com. „Das höchste Ziel von KI in Games ist, die Spielerfahrung zu verbessern“, heißt es dort. Selbst aus dieser Definition lassen sich aber ganz unterschiedliche Schlussfolgerungen ziehen – denn was eine „bessere Spielerfahrung“ ist, hängt bekanntlich von der individuellen Wahrnehmung der SpielerInnen ab. Soll ein Game in erster Linie Spaß machen, lehrreich oder ein ästhetischer Genuss sein – oder vielleicht alles zusammen? Eines ist dabei jedenfalls klar: Eine KI kann auch dann ihr Ziel erreichen, wenn sie genau das liefert, was die SpielerInnen wollen – dafür muss sie nicht den neuesten Stand der KI-Forschung abbilden. Die Frage könnte man aber auch umgekehrt formulieren: Welche Spiele sind möglich, wenn die KI noch schlauer wird?

Das höchste Ziel von KI in Games ist, die Spielerfahrung zu verbessern

Definitionssache
Bevor es weitergeht, sollten wir kurz definieren, was „künstliche Intelligenz“ ganz grundlegend bedeutet. Im üblichen Sprachgebrauch werden damit meist bestimmte Methoden derselben bezeichnet – denn die eine KI gibt es nicht. Computerbasierte KI-Systeme basieren auf Algorithmen; zu den genutzten Methoden zählen beispielsweise Machine Learning oder Deep Learning, wobei es für Letzteres künstliche neuronale Netze braucht. Bevor wir hier in immer neuen Fachbegriffen versacken, bleiben wir lieber noch etwas auf der allgemeinen Ebene – und befragen Frank Lantz, den Director des renommierten New York University Game Center. „Intelligenz ist die Fähigkeit, akkurate Modelle des Universums zu erschaffen“, sagt Lantz. „Mit künstlicher Intelligenz haben wir es zu tun, wenn diese Fähigkeit das Resultat eines absichtlichen Versuchs ist – auf eine Art und Weise, die nützlich, wiederholbar und nachvollziehbar ist.“ Diese drei Merkmale sind laut Lantz entscheidend – und nicht die Frage, ob sich dahinter eine Software auf einem Computer verbirgt.

Was also sagt Lantz zum Status Quo der Videospiel-KI? Als Entwickler einiger sehr origineller Spiele (u.a. Universal Paperclips, Babble Royale) hat er dazu eine klare Meinung. „Die meisten der umfangreichen zeitgenössischen Videospiele sind Uhrwerke, in denen alles – genauestens kontrolliert – zusammenpassen muss, damit das Ganze geschmeidig funktioniert.“Als Beispiel nennt Lantz Red Dead Redemption. „Was müssen die NPCs in diesem Spiel tun? Sie müssen sich in die sorgfältig ausgetüftelte Maschine sich überschneidender Systeme einfügen, die die allumfassende Struktur des Spiels bilden – also Kampf, Erlebnisse, Quests, Erzählung und so weiter.“ Die KI für ein solches Uhrwerk müsse vorhersehbar und verlässlich agieren – deshalb würden hierfür „gute altmodische Modelle wie Verhaltensbäume und State Machines“ genutzt. Neueste Errungenschaften aus der KI-Forschung wären in solchen Spielen fehl am Platz, betont Lantz: „Ihr Output ist wechselhaft und unzuverlässig.“ Oder anders formuliert: Der NPC-Cowboy im Saloon kann durchaus unterschiedlich (re)agieren – zum Beispiel kann er Infos liefern, eine Schlägerei anzetteln oder einen Ausrüstungsgegenstand verkaufen. Wäre er aber so intelligent (und lernfähig), dass er plötzlich sein Salooncowboydasein in Frage stellte und das Weite suchte, dann wäre das dem angepeilten Spielerlebnis – vorsichtig formuliert – nicht sehr zuträglich. (Zu was solche besonders schlauen StatistInnen imstande sind, wurde ja übrigens auch in der Serie Westworld genüsslich thematisiert.) „Das ganze Spiel ist ein milliardenschweres Uhrwerk – wenn auch nur ein Teil nicht richtig funktioniert, dann bricht alles auseinander“, sagt Lantz über AAA-Titel. „Genau aus diesem Grund wirken die meisten Charaktere in Videospielen noch immer wie unbeholfene Marionetten – wenn sie denn nicht gerade in Cutscenes oder Kämpfen auftauchen.“

 

Die meisten Charaktere in Videospielen wirken wie unbeholfene Marionetten

Neue Rollen
Wäre es aber nicht doch großartig, wenn Games mit wirklich fortschrittlicher KI auf den Markt kämen? Gewiss, sie wären ein finanzielles Risiko – aber sie könnten vielleicht auch Türen zu komplett neuen Spielerlebnissen öffnen. Journalistenkollege Nick Statt bringt den Status Quo in besagtem The-Verge-Artikel gut auf den Punkt, wenn er schreibt: „Selbstlernende KI – besonders die Deep Learning der breiten Machine-Learning-Revolution – hat zu selbstfahrenden Autos, Computer Vision und natürlicher Sprachverarbeitung geführt – aber sie ist noch nicht wirklich in die kommerzielle Spieleentwicklung eingesickert.“ Frank Lantz jedenfalls verspricht sich viel davon, wenn solche Methoden auch stärker in Games zum Einsatz kommen. „Ich denke, dass es in der Zukunft – und vielleicht auch nur für eine Übergangszeit – wichtige neue Rollen [in der Games-Branche, Anm.d.Red.] geben wird“, sagt er. „Es wird darum gehen, leistungsstarke KI-Engines zu zähmen, zu formen und zu steuern.“ Solche Rollen würden dann von System Designern, Software Engineers, World Builders und Interaction Designern übernommen, prophezeit Lantz.

Die neuen Aufgaben würden ein tiefes Verständnis der KI-Architektur erfordern, so der Experte. Dieses Verständnis werde kein technisches Wissen sein, wie man es in expliziten, mechanischen Abläufen kennt. „Stattdessen wird es auf der Art von Intuition, Instinkt und flüchtigem Gefühl beruhen, das GärtnerInnen, KöchInnen und DichterInnen leitet.“ (Achim Fehrenbach)

In Teil 2 unseres KI-Special (IGM 09/2022) schauen wir uns an, wo neue Formen der Gaming-KI bereits zum Einsatz kommen.

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