Karten auf den Tisch! IGM-Serie, Teil 1: Games richtig pitchen

Jeden Tag entstehen irgendwo auf der Welt glorreiche Ideen für neue Games. Doch von der Idee bis zum fertigen Spiel ist es ein weiter, steiniger Weg. Eine von vielen Herausforderungen ist die Suche nach Finanzierungsquellen. Einen Publisher findet man am besten mit einem knackigen Pitch. Doch worauf kommt es dabei an? Und welche Formate sind dafür am besten geeignet? In einer zweiteiligen Serie beleuchtet IGM die Kunst der überzeugenden Projektpräsentation.
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© LightFieldStudios /elements.envato.com
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Es gibt dieses Klischee, das – so oder ähnlich – immer wieder in Filmen und Serien auftaucht. Der CEO eines milliardenschweren Unternehmens trifft im Aufzug des konzerneigenen Wolkenkratzers „zufällig“ einen kleinen Angestellten, der während der Aufzugfahrt in Windeseile seine übergeniale Produktidee vorstellt. In den ein bis zwei Minuten, die der Aufzug bis in den 50. Stock braucht, gelingt es dem Angestellten irgendwie, beim eigentlich desinteressierten Chef einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen: Der Beginn einer klassischen American-Dream-Story.

In der Realität sind Elevator Pitches meistens deutlich weniger glamourös. Hektisch werden ein paar Stichworte in den Raum geworfen und eine Visitenkarte aus der Tasche gepfriemelt – gerade noch rechtzeitig, bevor der Zwangsgepitchte das rettende Stockwerk erreicht. In Corona-Zeiten wird die Kurzpräse durch FFP2-Masken gemümmelt und dabei tunlichst vermieden, jedwede Aerosole auszustoßen. Die Pandemie hat das Pitchen – auch in der Games-Branche – deutlich erschwert: Etliche Events, bei denen Entwickler ihre Projekte auf der Bühne oder face-to-face anpreisen wollten, wurden schlichtweg abgesagt. Nun kommen die physischen Branchen-Treffs langsam zurück – ob nun die CES im Januar, die GDC im März oder die gamescom im August. Damit beginnt auch wieder das physische Pitchen, das zwischenzeitlich komplett auf Online-Plattformen abgewandert war – oder auch hybrid stattfand (vgl. IGM 01 und 02/2022). In San Francisco gab es nun einen „GDC Pitch“ und einen „Sweden Game Pitch“ – und darüber hinaus auch jede Menge nichtöffentlicher Pitches. Doch worauf kommt es bei der Präsentation eines Spieleprojekts eigentlich an? Und welche Prioritäten setzen die Beteiligten – also Devs, Berater und Publisher?

 

Lass uns morgen bei einem ordentlichen Pitch zusammensitzen

 

Geschäftschancen aufzeigen
Einer der erfahrensten Experten in Sachen Pitching ist Jason Della Rocca. Der Kanadier berät schwerpunktmäßig Indie-Devs und leitet zudem in Montreal die Firma Execution Labs, einen Investor und Inkubator. „Beim Pitchen geht es nicht darum, irgendwie zu beweisen, dass man das tollste Spiel aller Zeiten hat“, sagt Della Rocca. „Sondern darum, dem Publisher zu zeigen, wie gut das Spiel zu ihm passt – und was es für eine großartige Geschäftschance ist.“ Wer erfolgreich sein wolle, müsse Empathie zeigen und sich in den Publisher hineinversetzen können: „Was interessiert ihn, welche Art von Games mag er, wie groß muss das kommerzielle Potenzial sein, damit er darauf anspringt  – und so weiter.“ Der beste Zeitpunkt für einen Publisher-Pitch liegt laut Della Rocca in der Mitte der Pre-Production oder in der Early Production (siehe Schaubild S. 30). „Denn man braucht ja eine Build bzw. Demo des Spiels, die Publisher davon überzeugen kann, dass das Spiel wirklich Potenzial besitzt.“ Viele Publisher wünschten sich ein Zeitfenster von 9 bis 18 Monaten, um intensiv mit dem Entwicklerstudio kooperieren zu können – und beispielsweise geeignete Marketing-Maßnahmen zu initiieren. Die Suche nach dem besten Zeitpunkt für den Pitch sei eine Gratwanderung, sagt Della Rocca: „Ist man zu spät dran, dann haben Publisher nicht genug Zeit, um ihre Arbeit zu machen. Ist man hingegen zu früh dran, dann ist noch nicht genug vom Spiel vorhanden, um Publisher davon zu überzeugen, dass sie an etwas ganz Besonderes geraten sind.“

Nicht jeder Pitch sei ein formelles, 30-minütiges Meeting, berichtet Della Rocca. Viele Pitches fänden spontan statt – etwa bei einem zufälligen Aufeinandertreffen während einer Konferenz oder Messe. Auch der etwas klischeebeladene Elevater Pitch sei gar nicht so selten, berichtet der Experte. „Man muss in der Lage sein, das Spiel zügig in einem solchen informellen und kurzen Rahmen zu pitchen.“ Oft gehe es darum, mit einem One-Liner Aufmerksamkeit zu erzielen – woraus sich dann später mehr ergeben könne. „Man trifft einen Publisher an der Bar, gibt einen 30-Sekunden-Pitch, zeigt ein kurzes Teaser-Video – und dann sagt er: ‚Lass uns morgen bei einem ordentlichen Pitch zusammensitzen‘“, beschreibt Della Rocca eine typische Anbahnungssituation.

Auf den Punkt
Wie wichtig eine knackige Kurzpräsentation sein kann, betont auch Della Roccas Branchenkollege André Bernhardt. „Die Aufmerksamkeitsspanne nimmt heutzutage immer weiter ab, deshalb ist es wichtig, dass du gleich auf den Punkt kommst“, empfiehlt Bernhardt, der mit „Indie Advisor & Company“ sowohl Entwickler als auch Publisher berät. Was aber gehört grundsätzlich in einen Pitch – und was kann man getrost weglassen? „Kurzbeschreibung, Plattform, Genre, Setting, Budget, Business Model, Entwicklungsdauer, Track Record und aktueller Zustand – das will jeder gern wissen“, erläutert Bernhardt. „Weniger interessant ist zum Beispiel Lore, warum die Spielwelt ist, wie sie ist, wie sie sich von Tolkien und Martin unterscheidet und welche Bachelor-Arbeit der Junior Coder geschrieben hat.“ Devs müssten scharf darüber nachdenken, wie sie in einem Pitch herausstechen können, so Bernhardt: „Schickt die Leute nach vorne, die gut mit Menschen können“, rät er. „Arbeite auch nicht nur den Unique Selling Point heraus, sondern auch den Emotional Selling Point. Also: Worauf spricht dein Gegenüber an? Was macht dein Spiel nicht nur einzigartig, sondern auch besonders?“ Selbstverständlich müsse man auch vorab einiges an Zielgruppenrecherche betreiben, so Bernhardt. „Kenne dein Gegenüber! Pitche deinen Premium-Titel keinem Free-To-Play-Anbieter. Informier dich vorher, mit wem du sprichst – und ob dein Titel generell ins Portfolio passen könnte.“

 

Die Aufmerksamkeitsspanne nimmt immer weiter ab

 

Pitching-Formate gibt es wie Sand am Meer – ob nun privatwirtschaftlich oder staatlich organisiert. Für Bernhardt gilt in jedem Fall: „Wer nicht spielt, kann nicht gewinnen. Nimm deshalb so früh wie möglich in der Spielentwicklung an Formaten teil, um Kontakte zu knüpfen, die du später wieder nutzen kannst.“ Der Indie Advisor rät, möglichst frühzeitig mit den Pitching-Bemühungen zu beginnen: „Ich empfehle meinen KundInnen in der Regel, erstmal alles wahrzunehmen – auch Exoten –, bis man ein erstes Netzwerk hat und die Bedeutung einzelner Formate besser einschätzen kann. Das Stichwort ist auch in diesem Zusammenhang wieder Serendipität!“ Will heißen: Die Fähigkeit, sich Möglichkeiten zu erschließen, die man ursprünglich gar nicht unbedingt auf dem Schirm hatte. Wer letztendlich mit im Pitch sitzt, ist völlig situationsabhängig. Wahrscheinlich die Biz-Dev-Leute, womöglich aber auch der Head of Development, die Geschäftsführerin oder die Marketing-Leiterin. Ist der Pitch grundsätzlich erfolgreich – wurde also Interesse geweckt –, dann geht es in der Geschäftsanbahnung weiter. „Wenn ein Prototyp existiert, dann darf das Team diesen Code in der Regel einsenden, damit er auf Herz und Nieren geprüft wird“, berichtet Bernhardt. „Im besten Fall wird auch frühzeitig ein Letter Of Intent gezeichnet, der das Interesse an einer Zusammenarbeit bekundet.“ Darauf folge oft ein Term Sheet, in dem die Vertragskonditionen festgehalten werden – und last but not least der Vertrag selbst. „Wobei natürlich auf jeder Stufe Schluss sein kann, falls der Publisher nicht mehr überzeugt ist oder falls die Verhandlungen zu keiner Übereinkunft führen“, gibt Bernhardt zu bedenken.

Große Umwälzungen
Doch wer sind nun eigentlich die größten Pitching-Organisatoren? „MeetToMatch ist in Europa omnipräsent“, berichtet Bernhardt. „Es ist häufig das offizielle Tool von Konferenzen und Messen und läuft häufig auch inoffiziell und parallel zu bestehenden Veranstaltungen.“ Zwar würden Veranstalter häufig ihre eigenen Systeme pushen. „Allerdings mangelt es in Abhängigkeit der Größe der Veranstaltung gelegentlich an Akzeptanz und Netzwerknutzen.“ Die Pandemie habe beim Pitching für große Umwälzungen gesorgt: „Waren früher noch Termine auf Konferenzen, Messen, etc. üblich, so findet das Gros der Pitches inzwischen online statt“, so Bernhardt. „Mit Rückkehr der physischen Konferenzen wird in meinen Augen jedoch eine Umkehr stattfinden. Entwickler und Publisher werden sich wieder verstärkt an einem realen Tisch zusammensetzen.“ Wie eben jüngst auch in San Francisco.

Der Dev Booster ist ein Format, das in der Pandemie entstanden ist. Entwickelt wurde die Plattform von der Event- und Consulting-Firma Booster Space aus Berlin, deren Gründer Michael Liebe zu den Networking-Urgesteinen der Branche zählt. Den Dev Booster habe die Firma erstmals im Juni 2020 veranstaltet, berichtet COO Lena Alter. „Das Format bringt einerseits EntwicklerInnen mit einer entdeckungsfreudigen Games-Community zusammen. Und andererseits können die EntwicklerInnen künftige GeschäftspartnerInnen, ExpertInnen und InvestorInnen treffen.“ Das Format bediene dringenden Bedarf von Self-Publishing-Studios, so Alter: „Sichtbarkeit für ihr Spiel in B2B und B2C zu schaffen – in einer Zeit, in der es keine Events und Messen gibt.“ 2021 fand der Dev Booster im Rahmen der gamesweekberlin statt. In dem Wettbewerb stellten die Entwicklerteams ihre Spiele live auf Twitch mehreren renommierten Spiele-ExpertInnen vor – darunter auch Jason Della Rocca. Anschließend erhielten sie von den ExpertInnen wertvolles Feedback und hatten auch die Möglichkeit, in One-to-One-Meetings weiteren Input zu ihren Spielen und Marektingplänen mitzunehmen. „Das Besondere an dieser Edition war die Live-Produktion in unserem eigenen Studio in Berlin“, berichtet Lena Alter. „Moderiert wurde der Stream von meiner Kollegin Madeleine Egger und Mascha Camino, Game-Designerin beim Berliner Studio Maschinen-Mensch. Seit letztem Jahr ist auch Tobias Kopka [vgl. IGM 02/2022] mit im Team des Dev Booster und kümmert sich um die Konzeption und Durchführung des Formats.“

Spielerlebnis vor Ort

 

Hybrides Konzept
Im Herbst 2022 will Booster Space mit dem Pitching-Format erneut bei der gamesweekberlin an den Start gehen – dann allerdings auch physisch. „Dort werden die Dev-Booster-Spiele für BerlinerInnen und BrandenburgerInnen zu einem Spielerlebnis vor Ort“, freut sich Alter. „Dabei werden wir mit hybriden Elementen arbeiten, die es den Entwickelnden ermöglichen, dabei zu sein, auch ohne anreisen zu müssen.“ Schließlich wolle man den CO2-Fußabdruck möglichst gering halten. Künftig soll es über das Jahr verteilt auch bis zu vier Editionen des Dev Booster geben, so die COO. „Unter dem Motto ‚gamesweekberlin – play. discover. connect.‘ werden der Dev Booster und dessen Spiele und Teams künftig ein integraler Bestandteil der gamesweekberlin sein. Wir werden voraussichtlich ein paar Varianten einbauen, aber stets wird es um CTA-taugliche Bewerbungen gehen. Also man muss auf Kickstarter backen können, auf Steam wishlisten oder kaufen können – oder anderweitig direkt die DeveloperInnen unterstützen können.“ Mit dem erweiterten Format wolle man den GamerInnen „die Schätze der internatio­nalen Dev-Szene näherbringen“, so Alter. Wir sind gespannt! (Achim Fehrenbach)

In Teil 2 unsere Specials (IGM 06/2022) schauen wir uns die Dos and Don‘ts beim Pitchen genauer an – und lassen auch Publisher zu Wort kommen.

IGM 05/22
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