Im Bann des Virus? Covid-19 und die deutsche Games-Branche

Das Coronavirus hat die Welt im Griff – und starke Auswirkungen auf die Games-Branche. Wie gehen deutsche Spielefirmen mit der Situation um? IGM hat mit Branchenvertretern gesprochen.
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In den letzten Wochen jagte eine Hiobsbotschaft die andere. Das Coronavirus breitete sich in Europa und Deutschland aus, öffentliche Einrichtungen, Geschäfte und Restaurants wurden geschlossen, wir sollen nur noch für unvermeidliche Aktivitäten die Wohnung verlassen. Natürlich ging (und geht) die Pandemie auch an der Games-Branche keineswegs spurlos vorüber: Er wurden reihenweise Konferenzen und Messen abgesagt, dann wackelten die ersten Releases, schließlich versetzten die meisten Firmen ihre MitarbeiterInnen ins Home Office.

Aber könnte es sein, dass die Games-Branche mit den Auswirkungen der Krise besser zurechtkommt als andere Industriezweige – gerade weil sie schon immer auch digital war? Zumindest der Games-Konsum der Bevölkerung hat unter den Ausgangsbeschränkungen keineswegs gelitten, im Gegenteil: Wie Userzahlen belegen, wird mehr gezockt denn je; sogar die manchmal etwas elitären Feuilletons der Republik geben mittlerweile Tipps, mit welchen Games sich die unfreiwillige Freizeit am besten überbrücken lässt. Doch wie ist die Lage bei den deutschen Spielefirmen, die ihre Arbeitsabläufe und Terminpläne auf die Krise abstimmen müssen? Wie kommen sie mit der ungewohnten Situation klar? Wir haben uns bei Distributoren, Entwicklerstudios und Publishern umgehört.

Maßnahmen und Strategien für die Zukunft müssen hinten anstehen

Ab ins Home Office
Zunächst hat uns interessiert, wie die Firmen ihre Arbeitsabläufe auf das Home Office umstellen. Was für Freelancer und Kleinunternehmer geradezu normal ist, bedeutet für Firmen ab einer gewissen Größe zwangsläufig eine Herausforderung. Wie also gehen sie damit um? Und entstehen dabei vielleicht sogar neue Arbeitsläufe, die auch in einer Zeit nach der Pandemie nützlich sein können? Markus Blumenberg, Einkaufsleiter bei Flashpoint in Hamburg, schildert die Vorgehensweise seines Unternehmens: "Den Mitarbeitern im Büro wurde die Wahl gelassen, ob sie von zu Hause arbeiten möchten. Eine Notbesetzung für eintreffende Telefonate im Büro ist aber noch vorhanden. Wir haben auch gewährleistet, dass in allen Abteilungen die notwendigen Dinge bearbeitet werden, so dass ein fortlaufender Betrieb weiterhin möglich ist." Die technischen Voraussetzungen fürs Home Office seien zum Teil schon vorhanden gewesen, so Blumenberg. Flashpoint stellte Mitarbeitern auch die passende Hardware für die Heimarbeit zur Verfügung. Der Übergang verlief also recht geschmeidig, gleichwohl ergeben sich aus der neuen Situation Herausforderungen, berichtet Blumenberg: "Die Kommunikation untereinander ist sicherlich die größte Veränderung, da man nicht einmal kurz über den Schreibtisch rufen kann. Der Abstimmungsaufwand per E-Mail oder Telefon ist deutlich größer, beim aktuellen Arbeitsaufkommen aber auch realisierbar. In der aktuellen Situation geht es sowieso primär um das Erledigen der anfallenden Aufgaben. Maßnahmen und Strategien für die Zukunft müssen hinten anstehen." Mit anderen Worten: Flashpoint plant von Tag zu Tag – und bleibt flexibel, um sich gegebenenfalls auf neue Rahmenbedingungen einzustellen.

Für international tätige Unternehmen ist es tendenziell einfacher, sich auf die Auswirkungen der Corona-Krise einzustellen. Die Firma Avanquest beispielsweise stellte Mitte März komplett auf Home Office um – in Frankreich und Italien war das aufgrund der Ausgangssperren ohnehin schon Pflicht. Das Ganze sei keine große Umstellung gewesen, sagt Katja Maier, Director Sales & Marketing: "Die technischen Voraussetzungen wie Laptop, VPN, Skype etc. sind schon lange gegeben und mussten dementsprechend nicht erst eingerichtet werden." Auch die Zusammenarbeit mit den Kollegen im Ausland – etwa der Schwesterfirma LULU in Kanada oder der Zentrale in Paris – habe sich dadurch nicht geändert, so Maier: "Konferenzen wurden auch vorher schon zumeist über Skype abgehalten." Was sich allerdings geändert habe, sei der Kontakt zu den Kunden – schließlich seien persönliche Termine nicht mehr möglich. "Wir versuchen, mit unseren Kunden per E-Mail oder Telefon in Verbindung zu bleiben", so Maier. "Wir respektieren aber selbstverständlich auch, dass es in dieser schwierigen Zeit andere Prioritäten gibt."

 

Von einem Zwang zum Home Office haben wir bislang abgesehen

 

Gut gerüstet
Eine Verpflichtung, im Home Office zu arbeiten, gibt es in Deutschland bisher nicht (Stand: 31.3.). Dennoch überlegen natürlich viele Unternehmen, ob sie ihre Mitarbeiter komplett ins traute Heim schicken sollen. Bei Koch Media wird das jedenfalls flexibel gehandhabt, wie Head of HR Britt Eben berichtet: "Von einem Zwang zum Home Office haben wir bislang abgesehen. Mitarbeitern, die ihre Tätigkeit nicht in den eigenen vier Wänden ausüben können, bieten wir alternativ an, die Räumlichkeiten zu nutzen – unter Anwendung der notwendigen hygienischen Maßnahmen." Koch Media sei als internationales Unternehmen software-seitig gut ausgerüstet, auch alle Heimarbeiter könnten diese Tools nutzen. Den Teamleitern komme dabei eine zentrale Rolle zu, berichtet Eben: Sie koordinieren die einzelnen Abteilungen und tauschen sich regelmäßig via Konferenzschaltung, Chat, E-Mail oder Telefon aus. Ein großer Zeitvorteil sei gewesen, dass sämtliche Mitarbeiter die Software schon vorab beherrschten, sagt Eben. "Als global agierendes Unternehmen mit Niederlassungen in Westeuropa, Ostmitteleuropa, Nordamerika und Australien sind wir es gewohnt, unsere Aktivitäten global zu koordinieren." Natürlich ließen sich die direkten sozialen Kontakte einer Bürogemeinschaft nicht durch virtuelle Lösungen ausgleichen, so die HR-Verantwortliche. "Dennoch stellen wir bislang keine nennenswerten Veränderungen in der Zusammenarbeit fest – weder intern noch extern mit unseren Teams oder unseren Partnern. Das gelegentliche gemeinsame Essen unter Kollegen oder der Feierabend-Kaffee entfallen natürlich, aber wir sehen einen regen Austausch innerhalb der Belegschaft." Viele Koch-Media-Angestellte nutzten die internen Kommunikations-Tools auch für "Team-Frühstücks-Calls und Ähnliches", berichtet Eben. "Wir finden den Umgang unserer Kollegen mit der Situation hier vorbildlich und freuen uns sehr über das Engagement, das alle unsere Mitarbeiter hier zeigen."

Die Firma InnoGames schickte ihre Mitarbeiter Mitte März ins Home Office. Allerdings konnten InnoGames-Angestellte schon vor der Pandemie von zuhause aus arbeiten, betont CEO und Mitgründer Hendrik Klindworth. 400 Mitarbeiter im Home Office seien allerdings "noch einmal eine ganz andere Nummer", sagt Klindworth, zeigt sich jedoch mit dem bisherigen Verlauf sehr zufrieden: "Unsere IT hat sämtliche Hardware bereitgestellt, das Office Management den Kollegen sogar Bürostühle nach Hause geschickt. Da haben wirklich alle mitgeholfen und großen Einsatz gezeigt, was mich richtig stolz macht." Bei der Koordination der Unternehmensaktivitäten setzt InnoGames vor allem auf Video-Calls und Wiki-Seiten. "So legen wir Pläne und nächste Schritte fest und dokumentieren Strategien und Ergebnisse", sagt Klindworth. "Ansonsten arbeiten wir natürlich ganz normal mit E-Mails und Messenger-Diensten, insbesondere bei kurzen Rückfragen." Team-Events und gemeinsame Kaffeepausen finden in besagten Video-Calls statt. "Wichtig ist, dass es das soziale Miteinander auch weiterhin gibt. Und das geht aktuell eben am besten per Video", so Klindworth.

Tools fürs Teamwork
Seit Beginn der Corona-Krise wird viel darüber diskutiert, welche Tools wohl am besten fürs Teamwork im Home Office geeignet sind. InnoGames nutzt für die Video-Calls vor allem Zoom und Microsoft Teams, teilweise auch Slack. "Diese Tools haben wir auch vorher schon genutzt. Je nach Größe der Gruppe haben die einzelnen Anbieter unserer Erfahrung nach Vor- und Nachteile. Faszinierend sind für mich immer noch die Video-Meetings mit mehr als 20 Kollegen", sagt Klindworth. Bei der THQ-Nordic-Tochter HandyGames in Giebelstadt läuft derweil alles über Microsoft Teams, wie Studiochef Christopher Kassulke berichtet. "Bis jetzt sind wir sehr zufrieden damit. Ansonsten haben wir natürlich ganz normal VPN aufgeschaltet und die gewohnte, offene Struktur, mit der wir arbeiten. Das ist alles kein Problem." Das 70-köpfige Team werkelt mittlerweile komplett im Home Office. "Sogar unsere Testing-Abteilung arbeitet jetzt von zuhause", berichtet Kassulke. "Ein Kollege kümmert sich noch um die Büropflanzen und die Post, ansonsten würde da die Wüste ausbrechen." Die für Mitte April geplante Feiern rund um das 20-jährige Firmenjubiläum können nun leider nicht mit der üblichen Geselligkeit stattfinden. Man werden "dann halt anders feiern", so Kassulke. Grundsätzlich ist die Stimmung bei HandyGames auch in der Corona-Krise gut. "Es verliert keiner den Job, es geht keiner in Kurzarbeit", so de CEO. "Wir haben viele KollegInnen, die auch erst im neuen Jahr bei uns angefangen haben. Die hatten natürlich Befürchtungen, weil viele Unternehmen in der Krise vor allem neue Mitarbeiter entlassen. Bei uns geht es aber ganz normal weiter."

Als eine der größten Umstellungen nennt Kassulke das Testing von zuhause aus. "Normalerweise findet Testing eher im Büro statt, weil es auch viel mit Hardware zu tun hat. Alle KollegInnen konnten ihren eigenen Firmen-PC mit nach Hause nehmen. Das ist natürlich auch eine Vertrauenssache." Home Office sei aber auch aus ganz menschlichen Gründen eine Herausforderung. "Es gibt natürlich die Leute, die – wie ich – jetzt beim Arbeiten mehrere Kinder um sich herum haben, die auch noch betreut bzw unterrichtet werden wollen." HandyGames beschäftigt zudem Entwickler aus Frankreich und Italien, die teilweise auch genau aus den Regionen kommen, in denen das Coronavirus besonders grassiert. "Für diese Entwickler ist natürlich besonders wichtig, mit der Heimat Kontakt zu halten – ob mit Skype, Whatsapp oder anderen Tools", betont Kassulke. Das Social Distancing könne gerade für jüngere, allein wohnende Mitarbeiter ein Problem sein: "Denen kann die Decke sehr schnell auf den Kopf fallen. Dementsprechend ist es wichtig, dass bei uns weiterhin alle Team-Meetings stattfinden. Video ist besonders wichtig, weil man dadurch mitbekommt, wie es den anderen geht. Dieses Zwischenmenschliche fehlt sonst sehr schnell."

Viel gelernt
Für Ubisoft als internationales Unternehmen ist Remote Work nichts grundsätzlich Neues. "Allerdings wenden wir es zum ersten Mal so großflächig an", sagt Benedikt Grindel, Managing Director von Ubisoft Blue Byte. Schon als die ersten Covid-19-Fälle in China auftraten, etablierten die Ubisoft-Studios in aller Welt lokale Handlungspläne, um ihre Teams zu schützen und den Übergang ins Home Office zu erleichtern. "Unser Ziel ist, die gleichen Abläufe zu haben wie während der physischen Präsenz im Studio", sagt Grindel. "Das bedeutet, dass wir die Teams mit zusätzlicher Technologie, mit Tools und Support versorgen – so dass sie auf bestmögliche Weise vorwärtskommen können." Ubisoft setze bei der Games-Produktion auf ein Co-Development-Modell. "Das bedeutet: Bei jedem unserer Titel arbeiten mehrere Studios zusammen. Durch dieses Modell haben wir viel über Zusammenarbeit gelernt – und darüber, wie Teams an verschiedenen Orten und in verschiedenen Zeitzonen zusammenarbeiten können." Momentan habe Covid-19 nur minimale Auswirkungen auf die Ubisoft-Produktionen, versichert Grindel: "Unser Release-Kalender für das kommende Fiskaljahr wird nicht beeinflusst. Unsere Teams arbeiten hart daran, dass alle Angestellten Zugang zu den Tools und zum Support erhalten."

Unser Release-Kalender für das kommende Fiskaljahr wird nicht beeinflusst

Die Bremer Firma King Art befindet sich derweil in einer besonderen Situation: Sie will im Juni in ein neues Büro ziehen. Als Übergangslösung hatte King Art zuvor ein zweites Studio gemietet. Damit die Angestellten auch von dort auf die Daten zugreifen konnten, mussten schon vor der Corona-Krise entsprechende Lösungen gefunden werden. Inzwischen arbeitet das gesamte King-Art-Personal im Home Office, wie CEO Jan Theysen berichtet. Hier koordiniere man sich via E-Mail, Video-Call, Jira Ticket oder Chat. "Die einzige größere Änderung war, dass wir unsere Projekte vom internen Server in die Cloud verlagern mussten, da unsere interne Internetleitung mit den Datenmengen nicht klar gekommen wäre", sagt Theysen. Der Studiochef sieht die Krise als Chance, neue Arbeitsmethoden auszuprobieren: "Wir werden genau tracken, wie sich Home Office auf die Projekte, auf die Teams und die Stimmung auswirkt. Sollte es sich in einigen Bereichen als positiv herausstellen, könnten wir zukünftig mehr in diese Richtung gehen."

Blick voraus
Wie sich Covid-19 mittel- und langfristig auf die Games-Branche auswirke, sei zum jetzigen Zeitpunkt noch weitgehend unklar, so Theysen. "Das hängt vermutlich vor allem davon ab, wie schwer der Verlauf der Krise sein wird und wie lange sie anhält." Zweifellos werde es zu Verzögerungen kommen, so Theysen: "Sollten zum Beispiel die neuen Konsolen verschoben werden, die Gamescom nicht stattfinden oder die Förderung einschlafen, kann das natürlich zu erheblichen Verwerfungen führen." Auch aus Sicht von Hendrik Klindworth sind die Auswirkungen der Krise momentan noch nicht absehbar: "Das Wichtigste im Moment ist, dass die Menschen gesund bleiben und wir die weitere Verbreitung deutlich verlangsamen", so Klindworth. InnoGames wolle einen Beitrag dazu leisten, die Menschen in der Krise – spielend – zusammenzubringen. Das Hamburger Unternehmen ist von den Folgen der Krise bisher kaum betroffen. "Schwieriger wird es sicher für kleine Studios, die noch in der Entwicklungsphase sind und noch kein erfolgreiches Spiel am Markt haben", so Klindworth. "Die brauchen wirklich dringend Unterstützung." Benedikt Grindel betont, bei Ubisoft wolle man sich jetzt auf das konzentrieren, "was wir am besten können: die Schaffung großartiger Games".

Markus Blumenberg sieht den stationären Handel als am stärksten von der Krise betroffen: "Nahezu alle Retailer haben in der Zwischenzeit die Geschäfte geschlossen. Profiteure der Krise sind momentan die Onliner, wobei dort in Summe nicht das kompensiert wird, was im Handel verloren geht." Es bleibe abzuwarten, so Blumenberg, ob Online-Entertainment auch mittelfristig derart bedeutsam bleiben könne – oder ob sich die Leute zu Beginn der Krise nur einmal eingedeckt hätten. "Viele Verbraucher haben sicherlich auch andere finanzielle oder existenzielle Sorgen, als sich damit zu beschäftigen, ob eine Switch-Konsole im Alltag die Langeweile vertreiben kann."

Christopher Kassulke möchte sich von der Krise nicht einschüchtern lassen. "Wir geben hier Vollgas! Nur wer in Panik verfällt oder Angst hat, macht Fehler", so der HandyGames-Chef. "Wer besonnen ist und mit seinem Team zuversichtlich in die Zukunft blickt, wird in vielen Bereichen gestärkt aus der Krise herauskommen!" Eine zweifellos gute Einstellung. (Achim Fehrenbach)

IGM 05/20
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