Worauf es bei Entwicklertagebüchern ankommt

Ob Dev Blog, Dev Vlog oder simple Patchnote auf Steam: Entwicklertagebücher sind ein probates Mittel, um mit der Community in Kontakt zu treten. Allerdings sind sie immer auch eine Gratwanderung: Wer als Dev zu viel verspricht, enttäuscht zwangsläufig die Erwartungen der Fans – und wer den Ball zu flach hält, verbreitet gepflegte Langeweile. Wir haben mit zwei deutschen Studios gesprochen, worauf es bei Entwicklertagebüchern ankommt – und ob sich der Aufwand in Zeiten von Tiktok, Discord und Co. überhaupt noch lohnt.
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Wir kennen sie alle nur zu gut: Auf Hochglanz polierte Making-of- und Behind-the-scenes-Videos, in denen bestens gelaunte Devs aus dem digitalen Nähkästchen plaudern. Wir erfahren da zum Beispiel, mit welch überbordender Begeisterung das Entwicklerteam bei der Sache ist, dass sich die Artists ihre Inspiration bei entbehrungsreichen Tundra-Wanderungen holen – oder auch, dass die Story-Verantwortlichen bis nach Timbuktu reisen mussten, um die Hintergrundgeschichte in entlegenen Bergdörfern zu recherchieren. (Wahlweise auch in Wanne-Eickel.) Häufig werden diese windschnittigen Videos zudem erst nach Veröffentlichung des jeweilige Spiels unters Volk gebracht, um den Absatz anzukurbeln. Das Problem: Viele SpielerInnen – von den unverbesserlichen Fangirls und Fanboys einmal abgesehen – merken instinktiv, dass es sich bei diesen „exklusiven“ Einblicken um weichgespülte PR-Inhalte handelt. Die Folge? Höchst mäßiges Interesse ...

Nicht trivial
Halten wir also fest: Die Produktion wirklich spannender Entwicklertagebücher ist alles andere als trivial – schließlich ist das Ganze immer auch eine Gratwanderung in Sachen Transparenz. Zudem stellt sich die Frage, ob ein ausführliches Dev Blog oder Dev Vlog überhaupt den Aufwand lohnt – denn wenn es primär um Aufmerksamkeit geht, kann Tiktok mit seinen erratischen Millionenreichweiten durchaus verlockend sein. Vorausgesetzt, man entscheidet sich für ein Entwicklertagebuch: Worauf kommt es dann besonders an? Darüber haben wir mit zwei deutschen Studios gesprochen, die gerade neue Games entwickeln – und diese Entwicklung auch dokumentieren.

Massive Miniteam aus Köln wurde 2017 von Tim Schroeder, Michael Koloch und Robert Schneider gegründet. Seit 2021 ist das Studio Teil von HandyGames – und damit auch Teil der schwedischen Embracer Group. In den vergangenen Jahren hat Massive Miniteam eine Reihe von Spielen entwickelt, darunter das kurzweilige Arcade-Action-Game Spitlings und das Franchise-Quiz Are You Smarter Than A 5th Grader. Darüber hinaus portiert das Studio auch fremde Titel – zum Beispiel Chicken Police und Minute of Islands – auf verschiedene Plattformen.

 

Wichtig, eine starke Bindung mit unserer Community aufzubauen

 

Community-Aufbau
Aktuell beschäftigt Massive Miniteam 27 Fachkräfte aus zehn Nationen – und arbeitet mit Volldampf an seinem neuesten Titel Oddsparks: An Automation Adventure. Darin bauen SpielerInnen mit Hilfe wuseliger Wesen automatisierte Werkstätten, um weitere „Sparks“ zu erzeugen; das Spiel bietet sowohl eine Solo-Kampagne als auch einen Online-Multiplayer-Modus. „Da wir Oddsparks im Early Access veröffentlichen werden, ist es uns wichtig, eine starke Bindung mit unserer Community aufzubauen“, sagt Managing Director Tim Schroeder. Mit dem Entwicklertagebuch auf Steam will Massive Miniteam den Fans einen Einblick in die laufende Entwicklung bieten. Doch welche Themen stehen dabei im Vordergrund? Laut Schroeder ist die Bandbreite recht groß – sie reicht von geplanten Features bis hin zur allgemeinen Sicht auf das Projekt. „Bei uns können alle Team-Mitglieder einen Teil des Devblogs schreiben“, betont er. „Wir wollen damit zeigen, dass echte Menschen an dem Spiel arbeiten. Dabei ist es auch erlaubt, mal technischer zu werden und mehr in die Tiefe zu gehen.“ Die Textbeiträge werden mit Screenshots, Artwork, GIFs und Trailern aufgelockert.

Mit Oddsparks will das Studio auch SpielerInnen ansprechen, die noch keine Erfahrung mit dem Automation-Genre haben. „Uns ist es daher wichtig, eine positive und offene Sprache zu verwenden“, sagt Tim Schroeder. „Wir wollen die verschiedenen Features und Inhalte des Spiels vorstellen und Neugier wecken. Für diejenigen, die dann mehr wissen wollen, gibt es am Ende von jedem Dev Blog einen Link zu unserem Discord, auf dem man direkt mit uns und unserer Community in Kontakt treten kann.“ Dort wiederum sammeln die Devs generelles Feedback und Bug-Hinweise und beantworten auch die Fan-Fragen im Detail. Auch auf Social-Media-Kanälen wie Facebook, Instagram und X ist Massive Miniteam mit Oddsparks vertreten. Nicht jeder dieser Kanäle sei für das Studio gleich wichtig, erläutert Schroeder; dennoch wolle man überall auffindbar sein. Schroe­der schildert auch, wie wichtig die Zugehörigkeit zu HandyGames ist: Via THQ Nordic Japan könne man beispielsweise japanische GamerInnen über deren Social-Media-Accounts ansprechen. „Die hätten wir allein nie erreicht.“

 

Eine positive und offene Sprache

Fokus auf Text
Schon früh hat sich Massive Miniteam gegen ein Vlog auf Youtube entschieden. „Der Aufwand für die Produktion ist einfach zu groß“, so der Co-Founder. „Außerdem braucht es, um auf Youtube erfolgreich zu sein, einen regelmäßigen Upload neuer Videos. Das ist einfach ein Aufwand, den wir nicht leisten können.“ Auf Tiktok hingegen hat das Studio erste Gehversuche unternommen, berichtet Schroe­der. „Dort haben wir verschiedene Formate ausprobiert, mal mit mehr, mal mit weniger Aufwand.“ Die Views und die Conversion Rate von Views zur Steam Wishlist seien vorerst noch gering – man werde sich aber weiter auf der Plattform engagieren, so der Game-Designer. „Aktuell liegt der Fokus aber auf unserem Dev Blog sowie unserem Discord-Server.“

Eine etwas andere Strategie fährt Stefan Kelnberger mit seinem Spiel Railroads Online, kurz: RO. „Es gab zahlreiche SpielerInnen, die sich Dev Vlogs gewünscht haben“, berichtet er. „Das hat uns dazu veranlasst, regelmäßige Update-Videos zu erstellen, um Neuigkeiten, den aktuellen Entwicklungsstand und neue Features zu präsentieren.“ Youtube biete eine hohe Reichweite und helfe auch dabei, gänzlich neue KundInnen für RO zu rekrutieren, so Kelnberger. Primäres Ziel sei, die SpielerInnen neugierig zu machen – am besten so neugierig, dass sie das Spiel auf ihre Steam-Wishlist setzen. Seine „Stefan Kelnberger GmbH“ gründete der bayerische Entwickler übrigens im Oktober 2021, zuvor war er hauptberuflich als Maschinenbauingenieur tätig. Kelnbergers erstes Spiel war American Railroads, das er ab 2016 in Feierabend-Sessions entwickelte. Seit 2020 arbeitet er an Railroads Online, das im Oktober 2021 in den Early Access auf Steam überging. Momentan beschäftigt Kelnbergers Firma 25 Fachkräfte, darunter auch 15 internationale Freelancer. An der Entwicklung von RO ist auch das französische Black Sheep Studio beteiligt; um Marketing und Vertrieb kümmert sich astragon Entertainment.

Futter für den Dev Vlog
Railroads Online ist ein ambitioniertes Projekt: Neben der Solo-Kampagne wird es auch einen Multiplayer-Modus bieten, in dem bis zu 16 SpielerInnen ein Eisenbahnnetz bauen – und zwar aus der Ego-Perspektive. RO spielt im goldenen Zeitalter der Dampflokomotiven, genauer gesagt in den USA des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Neben dem Schienennetz bauen die SpielerInnen auch verschiedene Industrieketten, erwirtschaften Einnahmen und erweitern ihren Fuhrpark. Mit steigendem Spielfortschritt werden immer neue Fahrzeuge freigeschaltet, zudem stehen etliche Karten zur Verfügung – und auch die unzähligen Bauteile lassen sich individuell gestalten. „Der Kreativität sind hierbei keine Grenzen gesetzt“, freut sich Kelnberger. Natürlich mangelt es auch nicht an neuen Features und Updates für das Dev Vlog auf Youtube. „Wir wollen unseren SpielerInnen einen Einblick geben, woran wir gearbeitet haben und was sie erwarten können“, so der Studiogründer. „Außerdem geben wir immer einen groben Ausblick, was als Nächstes geplant ist und was hinter den Kulissen passiert.“ im Video sprechen die Devs ihre Community auch direkt an, um unmittelbares Feedback zu erhalten. „Die Dev Vlogs erstellen wir dabei immer in Englisch, um weltweit möglichst viele SpielerInnen zu erreichen.“

Neben Youtube nutzt das Studio auch Discord und Steam, um mit der Community in Kontakt zu treten. „Dort können sich die Spieler­Innen untereinander austauschen, Fragen stellen oder zum Beispiel Spielpartner finden“, erläutert Kelnberger. Moderiert werde das Ganze vom hauseigenen Community-Management. Um Social-Media-Kanäle wie Facebook, Instagram und X kümmert sich derweil astragon – dort werden regelmäßig Updates, Teaser und News geteilt. Auch einen Newsletter gibt es für Railroads Online, er lässt sich auf der Studio-Website abonnieren. Doch was hält Kelnberger von einem „klassischen“ Dev Blog – beispielsweise als Ergänzung zu den Youtube-Videos? „Einen schriftlichen Blog gibt es in vereinfachter Form schon – und zwar als Patchnotes auf Steam“, berichtet er. „Mit jedem Update verfassen wir einen kurzen Informationstext und geben den Inhalt des Updates in Stichpunkten wieder. So haben die SpielerInnen direkt einen Überblick über die wichtigsten Neuerungen, auch wenn sie vielleicht noch nicht auf unseren Dev Vlog gestoßen sind.“

Offene Kommunikation
Sowohl Kelnberger als auch Massive Miniteam haben also massig Material, das sie in ihre Entwicklertagebücher packen können. Mindestens genauso interessant wie die Frage nach den inhaltlichen Schwerpunkten ist aber auch die Frage, welche Themen eher nicht in ein Dev Blog gehören. Wo also ziehen beide Teams die inhaltliche Grenze? „Uns sind Ehrlichkeit und eine offene Kommunikation sehr wichtig“, sagt dazu Tim Schroeder. Man weise die LeserInnen regelmäßig darauf hin, dass es sich um ein noch unfertiges Projekt handle – und dass sich viele Dinge noch ändern könnten. „Wir wollen kein perfektes Produkt vorstellen und falsche Erwartungen schüren, nur um einen Hype zu generieren“, betont Schroeder. „In unseren Dev Blogs teilen wir in der Regel Features und Inhalte, bei denen wir uns bereits sehr sicher sind, in welcher Form sie es ins Spiel schaffen werden.“ Wichtig sei, immer zu erklären, warum man bestimmte Dinge zeige – und was die Vision dahinter sei. „Solange es um das Spiel geht und klar und ehrlich kommuniziert wird, passt so gut wie jedes Thema in ein Devblog“, ist Schroeder überzeugt. Stefan Kelnberger sieht das ganz ähnlich. „Wir vermeiden auf jeden Fall, Themen anzusprechen, die noch nicht ganz ausgereift sind oder deren Umsetzung noch unklar ist“, sagt er. „Damit wollen wir vermeiden, dass falsche Erwartungen geweckt oder leere Versprechen gemacht werden.“ Für alle großen Themen und für alle bestätigen Milestones hat das Studio eine öffentliche Roadmap eingerichtet: Sie zeigt sämtliche Etappen bis zum Release von Version 1.0, der für Ende 2024 geplant ist. In den Dev Vlogs werde die Informationen derweil wohl dosiert, so Kelnberger: „Grundsätzlich verraten wir lieber weniger und überraschen dann mit mehr.“

Wir denken nicht, dass Discord die Dev Vlogs verdrängen wird

Keine Frage: Entwicklertagebücher erfordern – wenn sie wirklich gut gemacht sind – einiges an Aufwand. Wird Discord ihnen aber mittelfristig den Rang ablaufen, weil immer mehr Kommunikation direkt dort im Chat stattfindet? „Wir denken nicht, dass Discord die Dev Vlogs verdrängen wird“, sagt Stefan Kelnberger. „Discord-Server sind eine klasse Möglichkeit, um Neuigkeiten zu verbreiten, setzen aber voraus, dass man bereits Mitglied ist.“ Auch für Tim Schroeder ist Discord „am Ende des Tages eine Chat-Plattform“, auf der Inhalte schwieriger zu finden seien als im Web – auch deshalb, weil Discord nicht von Suchmaschinen wie Google indexiert werde. Beide Kanäle ergänzen sich aus Schroeders Sicht aber ausgezeichnet. Auch Stefan Kelnberger gefällt die zusätzliche Dynamik, die Discord in die Community bringt: RO hat dort inzwischen fast 15.000 Follower. Auch künftig will der Firmengründer deshalb die Synergien beider Kanäle nutzen. Zum Beispiel, indem er zunächst die Discord-Community anspricht – und deren Feedback dann im Dev Vlog aufgreift.

Fazit: Entwicklertagebücher gehören längst nicht zum digitalen Altpapier. Ihre volle Wirkung entfalten sie aber erst in der Kombination mit anderen Plattformen. (Achim Fehrenbach)

IGM 02/24
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