Flaschenhals: Die Computerspieleförderung des Bundes

Es war einer der Aufreger des Spielejahres 2022 – zumindest in Deutschland: Ende Oktober verkündete das Wirtschaftsministerium einen Annahmestopp bei der Bundesförderung. Inzwischen haben sich die Wogen zwar wieder etwas geglättet, dennoch bleiben einige Baustellen und Fragen. In einer zweiteiligen Serie beleuchtet IGM den Status Quo.
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© schankz /stock.adobe.com
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Prost Neujahr! Das derzeit wohl spannendste deutsche Games-Projekt (zwinker zwinker) wird nicht etwa vom Bund gefördert, sondern vom Freistaat Bayern: Kurz vor Weihnachten gab der dortige Filmfernsehfonds bekannt, man unterstützte die Entwicklung eines Oktoberfest-Spiels – und zwar mit 200.000 Euro. In dem VR-Game sollen User über die Wiesn schlendern sowie Bierzelte und Fahrgeschäfte ausprobieren können. Wir sind auf jeden Fall gespannt, inwieweit sich der Promillewert auf das Spielerlebnis auswirken wird – ob also die Immersion (in Bier) auch die spielerische Immersion verstärkt. Vielleicht ließe sich ja die rauschbedingte Übelkeit geschmeidig an die Motion Sickness von VR andocken – nur so eine Idee. Dass sich der Förderfonds mit einem originellem Setting wie diesem oazapfen lässt, ist – ganz ironiefrei – eine gute Nachricht.

Überraschung zu Halloween
Weniger gute Nachrichten hatte Ende Oktober das Bundeswirtschaftsministerium zu vermelden. Die Bundesmittel für die Games-Förderung seien bereits aufgebraucht – und zwar nicht nur für 2022, sondern auch schon für das Folgejahr. Der Branchenverband game schlug daraufhin Alarm, sprach gar von einem „fatalen Signal“ im internationalen Wettbewerb. „Der Förderstopp ist eine Vollbremsung in der gerade so gut gestarteten Aufholjagd als Games-Standort“, so game-Geschäftsführer Felix Falk. „Bundesregierung und Bundestag müssen jetzt handeln, damit wir die Erfolgsgeschichte von Games aus Deutschland weiterschreiben können.“ Abgesehen von bestimmten Formulierungen – der Förderstopp war ein Antragsstopp, die „Erfolgsgeschichte“ muss erst noch in die Gänge kommen – hatte Falk mit seinem Plädoyer durchaus recht: Das zeigte sich auch an den zahlreichen Social-Media-Posts, in denen deutsche Devs beklagten, vom BMWK kalt erwischt worden zu sein. (Übrigens war an dem Tag Halloween.)

Zum Glück gab es dann so etwas wie ein Happy End: Einen Monat nach der Horrormeldung vereinbarte der Bundestag in einer „Bereinigungssitzung“, die Fördermittel für 2023 um 20 Millionen Euro aufzustocken – und 2024/2025 jeweils 24 Millionen auf die vorab verplanten 50 Millionen draufzulegen. Sogenannte Verpflichtungsermächtigungen sollen zudem verhindern, dass kurz- oder mittelfristig wieder überraschende Einschnitte stattfinden. Der game begrüßte die Entscheidung als „große Erleichterung für die vielen Games-Unternehmen, die bereits mit der Förderung geplant hatten und seit dem Antragsstopp vor teils existenziellen Problemen standen“. Wie viele das tatsächlich waren, kann wohl niemand so genau sagen – für die war der 10. November aber in der Tat ein exzellenter Tag. Der game forderte (natürlich) umgehend eine weitere Vergrößerung der Fördertöpfe – und auch die Einführung von Steuererleichterungen à la Frankreich, Großbritannien und Kanada.

 

Große Erleichterung

 

Phasenweise Förderung
Wünschen ist bekanntlich erlaubt – speziell in vorweihnachtlicher Stimmung. Ganz grundsätzlich stellt sich aber schon die Frage, was da eigentlich auf Bundesebene gefördert wird – und ob die Förderung womöglich in eine „Erfolgsgeschichte“ mündet. Teil 1 der Frage lässt sich jetzt schon – zumindest oberflächlich – anhand von Eckdaten beantworten, die das BMWK im November veröffentlichte: Danach wurden in der Pilotphase (2019/2022) insgesamt 229 Projekte bewilligt, die aber aufgrund einer EU-Regelung („De Minimis“) nur höchstens 200.000 Euro erhalten durften. Von diesen 229 Projekten sind 223 bereits abgeschlossen – was immer das genau heißen mag. In Phase 2, die Ende 2020 begann, durften Projekte dann auch „großvolumig“ gefördert werden: Hier wurden teils Millionensummen bewilligt, die ja bekanntlich – auch im Erfolgsfall – nicht zurückgezahlt werden müssen. (Was ein grundlegender Unterschied zur Landesförderung ist.) In Phase 2 wurden insgesamt 238 Projekte bewilligt, von denen 168 Mitte November noch liefen – mit Laufzeiten, die teils erst im Jahr 2026 enden. Phase 3 begann am 1. Januar 2023.

Was sind nun beispielsweise Games mit „großvolumiger“ Förderung? Beim Besuch der BMWK-Seite stoßen wir auf etliche Projekte, die meist noch unter höchst fantasievollen Arbeitstiteln laufen: „Project Minerva“ (Grimlore Games) wurde mit knapp 2,6 Millionen Euro gefördert, „Schießeisen“ (King Art) erhielt rund 2,25 Millionen, „Project Cattleprod 2“ (Black Forest Games) bekam 2,23 Millionen und „Codename Süßkartoffel“ (Mimimi Games) 2 Millionen – um nur einige aus der Spitzenfördergruppe zu nennen. Hinter „Project Cattleprod 2“ verbirgt sich übrigens das Action-Game Destroy All Humans! 2 – Reprobed, das tatsächlich auch schon im August 2022 veröffentlicht wurde. Es ist damit eines von wenigen bereits veröffentlichten Games, die wir – im Rahmen unserer kursorischen Recherchen – finden konnten. Weitere Beispiele sind Growbot (Wabisabi Play), Lacuna (DigiTales Interactive) oder auch der Autobahn Polizei Simulator 3 (Z-Software). Das Weltraumspiel Everspace 2 (Rockfish Games), das unlängst 1,65 Millionen Euro vom Bund erhielt, ist auf Steam bereits im Early Access verfügbar – und dort auch äußerst populär.

Vor der Ernte?
Ansonsten aber ist der Release-Output bei 411 geförderten Projekten ziemlich dünn – zumindest nach dem ersten Eindruck. Tatsächlich ist es ja so, dass die meisten Games zwischen drei und fünf Jahren Entwicklungszeit benötigen – was wiederum bedeutet, dass die Ernte der Bundesförderung erst jetzt so richtig losgeht. Natürlich gibt es etliche Projekte, die bereits vorher aus Landesmitteln, per Kickstarter oder von Publishern gefördert wurden – und denen die Bundesförderung „nur“ einen zusätzlichen Schub gibt. Genau diese Projekte sind es auch, die jetzt schon teilweise auf dem Markt sind. Auch hier ist wieder DAH!2 – Reprobed ein gutes Beispiel – bekanntlich wurde es von THQ Nordic veröffentlicht (vgl. IGM 13/2022). Auf andere Großprojekte darf man gehörig gespannt sein – denn bei Berücksichtigung durchschnittlicher Entwicklungszeiträume müssten die ersten von ihnen schon sehr bald veröffentlicht werden. „Erfolgsgeschichte“, to be started ...  

Bevor wir uns der Frage widmen, wie es mit der Förderung konkret weitergeht, hier noch eine Anmerkung zum Thema „Transparenz“. Auf der Webseite des BMWK kann man gezielt nach Spielen suchen, die eine Förderung erhalten haben: Anfang Januar waren das 422 Projekte. Ein Nachteil: Zwar lassen sich die Games nach Name, Datum, Förderstatus (laufend/abgeschlossen) und sogar nach Genre sortieren – allerdings werden auf der Seite immer nur höchstens zehn Einträge gleichzeitig dargestellt. Will heißen: Wer ohne feste Suchkriterien durch die Projekte browsen möchte, der muss ziemlich viel klicken – und hat trotzdem nicht alles auf einen Blick. Mittlerweile gibt es aber eine private Initiative, die das Fördergeschehen auf Bundesebene etwas übersichtlicher macht. Mitte November programmierte Pixel-Maniacs-CEO Benjamin Lochmann ein Script, das die Förderinfos aus der BMWK-Seite ausliest und in ein Google Spreadsheet packt. „Letztendlich steht in dem Sheet nichts drin, was nicht einfach öffentlich auf der Webseite des BMVI abrufbar wäre“, sagt Lochmann. „Es ist nur etwas übersichtlicher aufgelistet.“ Die Idee zu dem Script kam bei einer abendlichen Game-Dev-Runde auf – und Lochmann nutzte eine Zugfahrt, um das Ganze umzusetzen. Das Spreadsheet listet die verfügbaren Projektinfos (Titel, Firma, Kurzbeschreibung, Förderlaufzeit, Fördersumme) schön übersichtlich auf. Lochmann betont, er habe das Script vor allem aus Spaß geschrieben – und natürlich ohne wirtschaftliche Interessen. „Falls jemand die Hoffnung hat, dass sich anhand der Liste die übrigen Fördertöpfe pro Jahr ableiten lassen: Das klappt leider nicht“, sagt er. „Unter anderem deshalb, weil sich die Ausgaben der Projekte nicht gleichmäßig auf die Jahre verteilen – und weil mutmaßlich viele Projekte noch in der Entwurfsberatung stecken oder noch nicht angekündigt wurden.“ In jedem Fall eine löbliche Initiative!

 

 Dem Wirtschaftsministerium blieb nichts anderes übrig

 

Verpflichtende Beratung
Wie geht es nun also mit der Bundesförderung weiter, nachdem sich die Wellen wieder einigermaßen geglättet haben? Was sind die wichtigsten Neuerungen der dritten Förderphase – und wo sollten gegebenenfalls noch nachjustiert werden? „Mit der Aufhebung des Antragsstopps wurde kurzfristig eine neue Regel eingeführt – dass man nämlich zwingend ein Vorgespräch führen muss“, berichtet Malte Behrmann. Der Professor und Rechtsanwalt zählt zu den profundesten Kennern der deutschen Förderlandschaft: Er lehrt unter anderem „Creative Industries & Communication“ an der bbw Hochschule Berlin und hat etliche Fachbeiträge zum Thema verfasst. (Zum Beispiel 2020 eine als pdf abrufbare Studie mit dem Titel „Finanzierung von Computerspielproduktionen in Deutschland und Europa mit öffentlicher Förderung“.) Im IGM-Interview erläutert Behrmann, warum das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt – das als Projektträger fungiert – die verpflichtenden Vorgespräche eingeführt hat. „Das DLR will keine Anträge erhalten, die es dann nochmal intensiv überarbeiten muss“, so Behrmann. „Deshalb sollen die Antragsteller dieses Vorgespräch führen. Man muss einen Probeantrag einreichen und erhält dann einen Beratungstermin.“ Warum es überhaupt zu dem zeitweiligen Antragsstopp kam, erklärt Behrmann anhand der Entstehungsgeschichte: „In den ersten beiden Jahren der Bundesförderung – also 2019 und 2020 – hatten wir das Problem, dass das Geld nicht ausgegeben wurde“, so der Experte. „Es dauerte eine Weile, bis die Spieleentwickler auf den Trichter kamen. Deswegen hat das Verkehrsministerium zurecht – auf dem Verordnungsweg – sichergestellt, dass das Geld nicht verlorengeht, sondern auf das nächste Jahr übertragen wird.“ Das aber sei schwierig, weil die ganze Haushaltslogik im Jahresrhythmus funktioniere, so Behrmann. Die Änderung gelte nämlich auch umgekehrt – mit der Folge, dass durch die vielen Anträge 2022 schon das Fördervolumen für 2023 abgerufen wurde. „Dem Wirtschaftsministerium blieb also nichts anderes übrig, als einen Förderstopp zu verhängen“, kommentiert Behrmann.

André Bernhardt befasst sich als „Indie Advisor“ schon seit langem mit Förderanträgen: Der Berliner berät Indie-Studios bei der Suche nach Finanzierungsmöglichkeiten und beim Abschluss von Publisher-Verträgen. „Momentan gibt es nur eine kleine Anzahl von Teams, die das Beratungsgespräch bereits hatten, die ihren Antrag wegen des Förderstopps aber noch nicht einreichen konnten“, berichtet Bernhardt. „Diese Teams können seit dem 1.1. den Entwurf in das Antragssystem Easy Online hochladen.“ Alle anderen Studios – also auch diejenigen, die vom Antragsstopp kalt erwischt wurden –, können seit Anfang Januar wieder mit Easy Online arbeiten. Das heißt: Sie können dort ihren Antragsentwurf erstellen und anschließend ein Beratungsgespräch vereinbaren. Bernhardt ist überzeugt, dass die allermeisten Förderinteressenten das neueste Update mitbekommen haben. Zwar hat das BMWK die Neuregelungen erst am 27. Dezember per Newsletter verschickt – doch die haben sich dann in Windeseile herumgesprochen. Wird es nun im Januar zu einem Stau im Förder-Procedere kommen, weil sich die Interessenten geballt anmelden? Bernhardt schätzt, dass es durchaus „zu einem Run auf Beratungstermine beim DLR“ kommen könnte. Dann sei das der limitierende Faktor, so Bernhardt – und nicht mehr der Antragsstopp an sich. „Es kommt also darauf an, wie schnell man seinen Entwurf in Easy Online fertigstellen kann, damit man beim DLR anrufen und ein Beratungsgespräch vereinbaren kann.“

 

Run auf Beratungstermine

Signal an die Politik
Grundsätzlich ist der Run auf die Fördertöpfe aber zu begrüßen, so Bernhardt – er teilt damit die Meinung der bearbeitenden Behörde. „Mir hat das DLR versichert: Wir sollten es als etwas Positives sehen, dass diese Fördertöpfe auch ausgeschöpft werden“, berichtet er. „Denn das sendet das Signal an die Politik: Der Bedarf ist da!“ Die Games-Branche sei von der Bundesregierung als zukunftswichtig eingestuft worden – „deshalb ist es laut DLR gut, dass die Töpfe jetzt geleert wurden – weil dann klar wird, dass der Bedarf da ist“. So könnte die Regierung tatsächlich unter Zugzwang geraten, die Förderung mittelfristig weiter aufzustocken. Eine „Erfolgsgeschichte“ würde dadurch jedenfalls wahrscheinlicher … (Achim Fehrenbach)

In Teil 2 unseres Förder-Specials (IGM 02/2023) beschäftigen wir uns unter anderem mit den Beratungsgesprächen selbst, der Regelung für „schwierige Spiele“, den Kumulationsmöglichkeiten mit der Landesförderung und auch mit der Frage, ob Steuererleichtungen für Games-Firmen realisierbar sind.

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