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Adventures zum UmblätternSpielbücher wie "Labyrinth des Todes" oder "Der Hexenmeister vom flammenden Berg" haben früher Millionen verkauft, dann hat das Computerspiel sie verdrängt. Aber jetzt schlagen die Bestien aus den Buchseiten mit aller Macht zurück… digital, gedruckt und sogar auf Netflix. Der Singleplayer für "Pen & Paper"
Anfang der 90er-Jahre ist das digitale Medium bereits so prominent, dass die "Abenteuer-Spielbücher", wie der Thienemann-Verlag sie hierzulande nennt, nahezu von der Bildschirmfläche verschwinden. Serien wie "Einsamer Wolf" von Joe Dever und Gary Chalk geben dem interaktiven Buch noch mal kurzen Auftrieb, aber dann verschwindet das gedruckte "Solo-Abenteuer" weitgehend in der Versenkung. Abenteuer mit amazon Echo und Netflix Ebenfalls interaktiv ist die Echo-Story "Schmusetiger Ferdinand" von Florian und Christian Sußner. Die als Alexa-"Skill" aktivierbare Kindergeschichte führt das Erlebnis Buch bzw. Hörbuch an ein junges Publikum heran, indem man es mit Elementen kreuzt, wie man sie sonst nur aus Computer- und Videospielen kennt. Doch auch das klassische, gedruckte Spielbuch-Medium wird vom Autoren-Gespann Sußner & Sußner weiterhin bedient: Zusammen haben die beiden das Fantasy-Abenteuer "Die Feuer des Mondes" ausgearbeitet, nächstes Jahr soll das in einer "Sin City"-artigen 80er-Jahre-Stadt spielende "Somora" erscheinen. Zwischendurch haben die Brüder außerdem "Escape-Bücher" geschrieben – die besonders Rätsel-lastige Spielbuch-Version eines Escape-Rooms. Florian Sußner, der außerdem regelmäßig Buch-Lesungen an Schulen hält, beobachtet immer wieder, dass gerade Games-affine Teenager begeistert auf die Lese-Art Spielbuch ansprechen: "Dabei sage ich Eltern und Lehrern ständig: Dass eure Kinder nur Games zocken, das liegt daran, dass sie Bock auf die Welten haben, die darin abgebildet werden. Also gebt ihnen die gleiche Sorte Spielprinzip und Erlebniswelt als Buch! Wenn man Gamer mit etwas zum Lesen bringt, dann sind es Spielbücher!" Keep it simple
Gesagt, getan: Für "Somora" haben die beiden das Regelwerk komplett gestrichen – stattdessen gibt es eine sich weit verzweigende Geschichte, deren Ausgang der Leser durch seine Entscheidungen maßgeblich mitbestimmt. Wie in einem Adventure-Game von Telltale. Denn: Trotz ihrer Leidenschaft für das geschrieben Wort sind auch die Sußners passionierte Gamer. Nicht umsonst haben sich die beiden gerade erst an der Gründung eines ehrgeizigen Startups beteiligt: Ihre "Messengerbooks" transportieren einen interaktiven und sich nach Spielbuch-Art verzweigenden Noir-Krimi auf den Facebook-Messenger. Hier wird der Spieler von einem KI-gesteuerten Detektiv kontaktiert, der ihm von seinen Erlebnissen berichtet und dabei regelmäßig um Rat bittet: "Ich schleiche vorsichtig nach hinten zu der kleinen Tür. Mit der Hand stoße ich sie auf. Dahinter: eine alte, kleine Küche. Es ist schwer zu sagen, ob sie regelmäßig benutzt wird." Dann die Wahlmöglichkeiten: "Geh rein" oder "Geh zurück". Im Augenblick bieten die Sußners und ihre Partner die Messenger-Gamebooks kostenlos an, nach dem Testlauf werden sie für vergleichsweise kleines Geld verkauft. Nicht ganz so simpel Romane schreibt Harder nicht, weil ihm das vergleichsweise "langweilig" erscheint. "Ich wollte das System hinter einem Spielbuch verstehen und sehen, wie man mit den Problemen, die einem das Medium als Autor auferlegt, umgehen und es dabei vielleicht sogar zu neuen Limits treiben kann", erklärt er uns. Und weiter: "Natürlich unterscheidet sich das Storytelling von dem eines klassischen Romans. Aber auch bei Spielbüchern gibt es ganz verschiedene Ansätze, wie man eine Geschichte erzählen kann. Manche Autoren bevorzugen dabei eine sehr stark verzweigte Struktur, die viele unterschiedliche Handlungsstränge mit generischen Helden bietet. Aber mir geht es vor allem darum, eine packende Story zu erzählen, bei der ein Protagonist und seine Heldenreise im Mittelpunkt stehen." Abschnitt für Abschnitt ins Digitale Zu den von Harder erwähnten "klassischen Roman-Autoren" gehört Lena Falkenhagen. Die außerdem auf Game-Stories spezialisierte Schriftstellerin und "Narrative Designerin" hat bis heute neun Bücher veröffentlicht. Darunter historische Romane wie "Die letzte Hanseatin", aber auch Rollenspiel-affine Kost unter dem bekannten deutschen Paper'n'Pencil-Franchise "Das Schwarze Auge". Passend dazu hat Falkenhagen an dessen Computerspiel-Umsetzungen "Drakensang: Am Fluss der Zeit" und "Drakensang Online" mitgearbeitet. Ihre Erfahrung bei der Umsetzung interaktiver Stoffe kam der Autorin bei ihrem ersten "Gamebook" entgegen: "Beim Schreiben ist dieses Medium durchaus anspruchsvoll, weil man eben mehr als nur die Story im Blick haben muss. Tatsächlich habe ich dieses Jahr ein digitales Spielbuch für den CARLSEN-Verlag geschrieben, das 2019 erscheint – und darauf werden vermutlich weitere folgen. Bei Text-Game-Books gibt es kaum mehr Einschränkungen als beim Roman. Geht man dagegen in den digitalen Bereich, bekommt man aber schnell ähnliche Budget-Probleme wie beim Computerspiel: Da wollen Hintergrundgrafiken gezeichnet und animiert werden, braucht man Effekte sowie Ton und eventuell noch Hintergrundmusik. Das alles kostet und beschränkt manchmal die Story. Man muss sauber im Voraus planen und kann nicht mal eben einen Charakter einfügen oder eine neue Szene an einer Location eröffnen, ohne dass der oder die Produzent(in) im Dreieck springt."
Warum der Boom? "Alles, bei dem wir selber die Entscheidungen treffen und dadurch den Eindruck erhalten, verantwortlich für die Ergebnisse zu sein, befeuert die Fantasie und sorgt dafür, dass wir uns noch mehr mit den Figuren identifizieren können", führt Lena Falkenhagen weiter aus. "Die Frage, ob digitale Games und Gamebooks dauerhaft nebeneinander existieren können, stellt sich mir dabei gar nicht. Im Moment tun sie das eben. Aber auf Dauer werden sie sich vermutlich noch stärker auf mobile Geräte verlagern, weil sie auf dem Handy oder dem Tablet viel eleganter funktionieren und die ganze Regel-Buchhaltung dabei in den Hintergrund tritt. Es stellt sich ja generell die Frage, ob Unterhaltungsliteratur künftig überhaupt noch aus Papier bestehen wird oder sich der Viel-Leser-Markt irgendwann vollends ins Digitale verschiebt. Aber Gamebooks werden im digitalen Markt auf jeden Fall solange ein Phänomen bleiben, wie In-App-Käufe legal sind, um das Format zu finanzieren. Wer das als Retro-Trend bezeichnet, der ignoriert, dass dieses Medium derzeit hunderte Millionen Dollar einspielt. In Deutschland kommt diese Erkenntnis seit ungefähr zwei, drei Jahren auch an. Aber noch gibt es bei uns kein selbständiges Format, das an den Erfolg der internationalen Vorbilder ‚Episodes' und ‚Choices' anknüpfen könnte." Unser Stichwort dabei: "noch". Denn anders als bei vollwertigen Videospiel-Projekten handelt es sich um ein Medium, das sich nach wie vor von kleinen Teams stemmen lässt. Nötig sind theoretisch nur ein Autor und ein Illustrator – und sobald sich deren Arbeit in gedruckter Form bewährt, lässt sie sich vergleichsweise einfach digitalisieren. Je nachdem, wie aufwändig man es gerne hätte. Wie zum Beispiel die Klassiker von Ian Livingstone und seinem Rollenspiel-Spezi Steve Jackson, die an ihren vor über 30 Jahren getippten Büchern noch immer verdienen. Diesmal auf Smartphones und Tablets. Würfel-, Rechen- und Notiz-Arbeiten übernimmt bei den digitalen "Fighting Fantasy"-Schmökern das Programm, die Entscheidungen trifft nach wie vor der Spieler. Ach ja: Lesen sollte er natürlich auch können. In diesem Sinne: Wenn Sie den nächsten Artikel auch noch lesen wollen, dann weiter auf S.12 – ansonsten zurück zum Inhaltsverzeichnis! (rb) |
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