Fight for your right! ArbeitnehmerInnenrechte in der Games-Branche

Die Entlassungswelle bei Spielefirmen rollt ungebrochen weiter. Zwar hatte wohl kaum jemand damit gerechnet, dass sich die Dynamik des Personalabbaus in diesem Jahr schlagartig verlangsamen würde. Dass die Welle aber noch an Fahrt zunehmen würde, war ebenfalls keine Selbstverständlichkeit. Ganz generell steht die Branche massiv unter Druck, weil Investoren- und Fördergelder zäher fließen und auch die VerbraucherInnen stärker auf ihre Ausgaben achten. Ausbaden müssen das Ganze in den meisten Fällen die Fachkräfte, die entweder „aussortiert“ werden, kündigen, sich aus Angst vor dem Job-Verlust mit ruppigen Arbeitsumfeldern arrangieren ... oder wehren! In unserer zweiteiligen Serie soll es darum gehen, wie Gewerkschaften, Betriebsräte und andere Formen der Zusammenarbeit die Situation in der Branche verbessern können.
Image

Geschätzte 8.800 Entlassungen hat es in der Games-Branche weltweit seit Jahresbeginn gegeben. Das geht aus der Webseite videogamelayoffs.com hervor, die das Geschehen seit einiger Zeit trackt, indem sie diverse Nachrichtenquellen auswertet (vgl. IGM 14 und 15/2023). Die Dynamik hat sich also seit letztem Jahr noch einmal deutlich verschärft: Für 2023 schätzt videogamelayoffs.com die Gesamtzahl der Entlassungen auf etwa 10.500. Ein neuer und besonders prominenter Neuzugang in der Liste ist Take-Two: Die Firma, die weltweit rund 11.600 Menschen beschäftigt, will sich von etwa 5 Prozent ihrer Belegschaft trennen. Ob davon auch GTA-5-Entwickler Rockstar Games betroffen ist, war Mitte April unklar. Sehr deutlich wurde der Publisher hingegen bei der Begründung: Ziel sei es, mit dem Stellenabbau und weiteren Maßnahmen bis zu 200 Millionen US-Dollar einzusparen. Dass Take-Two finanziell am Stock geht, ist allerdings eher unwahrscheinlich: Erst kurz zuvor hatte der Publisher die Übernahme von Gearbox Software aus Embracer-Händen verkündet. Kostenpunkt: immerhin 460 Millionen US-Dollar ...

Fehlendes Verständnis
2019 hat sich Take-Two-CEO Strauss Zelnick zum Thema „Arbeitsbedingungen“ geäußert. Diverse Zitate aus seinem Interview mit gamesindustry.biz sind leider inzwischen sehr schlecht gealtert. Berichte über unzumutbare Zustände bei Rockstar Games sorgten damals für Forderungen nach Gewerkschaftsgründungen, für die Zelnick allerdings kaum Verständnis aufbrachte. Der CEO verwies auf zahlreiche offene Stellen bei Take-Two und auf die hohen Löhne in der Spielebranche – und sagte, er könne sich schwer vorstellen, „was diese Leute dazu bewegen könnte, sich gewerkschaftlich zu organisieren“. Allerdings werde man sich als Unternehmen an die gesetzlichen Vorgaben halten, so Zelnick: „Wenn unsere KollegInnen Tarifverhandlungen führen wollen, dann werden wir da mitmachen.“

Nun ist die wirtschaftliche Lage der Branche tatsächlich eine komplett andere als noch vor fünf Jahren: Der zwischenzeitliche Gaming-Boom der Corona-Jahre ist schon wieder verpufft – oder anders formuliert: Die Branche wird gerade wenig subtil zurückgebaut. Allerdings hat sich – gerade in den USA – einiges getan, was die Rechte von Games-Arbeitskräften betrifft. 2022 gelang es einer Gruppe von QA-Testern, beim Activision-Studio Raven Software eine „Union“ einzurichten – was im Deutschen am ehesten einem „Betriebsrat“ entspricht. (Dazu später mehr.) Weiteres Beispiel: Erst im März 2024 gründeten rund 600 Fachkräfte die „Activision Quality Assurance United“, die Mitglieder in Texas, Kalifornien und Minnesota hat; unterstützt wurde die Gründung von der Gewerkschaft Communications Workers of America.

 

Weniger Rechte als deutsche Gewerkschaften

 

Tauschgeschäft
Das klingt vergleichsweise reibungslos – hat aber einen besonderen Hintergrund. „Microsoft hat sich die Zustimmung der US-Gewerkschaften für den Activision-Deal gewissermaßen erkauft, indem sie ihnen betriebliche Mitbestimmung eingeräumt haben“, sagt dazu ein deutscher Gewerkschaftler. Das Mitglied von Game Workers Unite Germany möchte im Artikel nur mit seinem Vornamen Philipp genannt werden. Game Workers Unite (GWU) ist eine Organisation, die 2018 im Rahmen der GDC gegründet wurde. Zeitweise hatte sie mehr als 1000 Mitglieder und Chapter in über 20 Ländern. Nach einem anfänglich großen medialen Interesse – unter anderem berichtete Zeit Online über die Gründung – ist es um GWU inzwischen deutlich ruhiger geworden. „Game Workers Unite hatte auf internationaler Ebene leider massive Startprobleme“, berichtet Philipp. Weil es offenbar deutliche strategische Differenzen gab, kam es zu einem „Spill-over-Effekt“: Etliche Mitglieder des US-Chapters wechselten zu etablierten Gewerkschaften, etwa zu den Communications Workers of America – und engagierten sich dort weiter. „Die Betriebsgewerkschaften in den USA entsprechen in etwa unseren Betriebsräten“, erläutert Philipp. „Allerdings haben sie meist auch deutlich weniger Rechte als deutsche Gewerkschaften.“ In den USA müssten Betriebsgewerkschaften spezielle Verträge mit dem Management aushandeln, so der GWU-Sprecher. „Der Inhalt dieser Verträge kann stark variieren. Betriebsräte in Deutschland hingegen haben verbriefte Rechte.“ In vielen US-Firmen werde mit harten Bandagen gekämpft, gibt Philipp Berichte von US-KollegInnen wider. Für die Betriebsgewerkschaften sei das wahrlich kein Zuckerschlecken: „Sie existieren zwar nominell, müssen aber sehr hart verhandeln.“

Doch wie ist eigentlich die Situation in Deutschland? Auch hier sind schließlich viele Firmen von Entlassungen betroffen, was ein starkes Engagement der Gewerkschaften durchaus rechtfertigen würde – mal ganz abgesehen von notorischen Problemen wie Crunch, ungleiche Bezahlung und Diskriminierung. „Die Entlassungswelle hat viel Verunsicherung in die Branche gebracht“, konstatiert Philipp. „Den MitarbeiterInnen hat das vor Augen geführt, dass sie sehr schnell entlassen werden können, wenn sich etwas an den Bedingungen in der Branche ändert. Das ist natürlich etwas, was viele nicht mitmachen wollen.“ Viele stünden nun vor der Wahl, sich für Veränderungen im Unternehmen einzusetzen – oder sich einen anderen Job zu suchen, vielleicht sogar in einer anderen Branche. „Die Krise hat bewiesen, dass es in vielen Unternehmen an Wertschätzung für die MitarbeiterInnen fehlt. Diese werden als Verfügungsmasse behandelt und bei Bedarf einfach vor die Tür gesetzt“, so der GWU-Sprecher. Vielerorts herrsche die Mentalität, dass die verbliebenen MitarbeiterInnen die Arbeit der Entlassenen einfach mit erledigen müssten. „Deshalb wächst die Überzeugung, dass es in der Games-Branche nicht mehr ohne Gewerkschaften und Betriebsräte geht.“

 

Es ist wichtig, sich zu organisieren

 

Vernetzung im Vordergrund
GWU Deutschland berichtet, dass hierzulande immer mehr Branchenangehörige Beratung suchen. Allerdings sieht sich das deutsche Chapter in erster Linie als Vernetzer – für eine vollumfängliche Gewerkschaftstätigkeit fehlen ihm schlichtweg die Ressourcen. „GWU Deutschland hat die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen gesucht, um mehr ausrichten zu können“, betont Philipp. „Wenn Leute mit der Bitte um Beratung zu uns kommen, vermitteln wir sie weiter, zum Beispiel an ver.di.“ Im Übrigen betreibt GWU Deutschland einen Mastodon-Account, der als „Megafon“ für die neuesten Entwicklungen der Branche diene. Eine eigene Website hat das Chapter derzeit nicht; das Aufnahmeformular ist auf dem Mastodon-Account verlinkt.

Matthias Grzegorczyk ist Gewerkschaftssekretär bei ver.di in Nordrhein-Westfalen – und zuständig für die Fachgruppe „Information, Kommunikation, Technologie“. Gemeinsam mit einem Kollegen betreut Grzegorczyk meist kleine und mittlere IT-Unternehmen, die einen Betriebsrat gründen wollen. „Wir arbeiten punktuell mit Game Workers Unite Deutschland zusammen“, berichtet Grzegorczyk. „Anfragen zu Betriebsratsgründungen leitet GWU an uns weiter.“ Auch in der Games-Branche komme es darauf an, „dass die Leute verstehen: Es ist wichtig, sich zu organisieren, sich für die Verbesserung der Arbeitsverhältnisse einzusetzen“, so Grzegorczyk. Aus diesem Grund habe ver.di Kontakte zur Games-Branche in NRW aufgebaut – und sich etwa bei der letztjährigen gamescom mit Beschäftigten von Spielefirmen getroffen.

Schwierige Einarbeitung
Auch Nichtmitglieder erhalten grundsätzlich Beratung von ver.di, so Grzegorczyk. „Wir schlagen diesen Beschäftigten vor, Mitglieder von ver.di zu werden, um ihre Interessen besser vertreten zu können.“ Ein Betriebsrat habe laut Gesetz die Aufgabe, die Einhaltung aller Gesetze, Richtlinien und Vorschriften zu überwachen – und sich für ihre Einhaltung einzusetzen. „Das kann schon mal zu Konflikten führen“, betont Grzegorczyk. Die Beschäftigten müssten teils erst lernen, solche Konflikte zu führen, so der Gewerkschaftler. Viele Gesetzestexte seien auch nicht gerade leicht verständlich und erforderten einiges an Einarbeitung. Deshalb bietet ver.di seinen Mitglieder verschiedene Seminare an: Die TeilnehmerInnen lernen dort unter anderem, wie sie die Betriebsverfassung am Arbeitsplatz durchsetzen. „Solche Werkzeuge sind notwendig, denn ein Betriebsrat ist ohne Rückhalt in der Belegschaft schwach“, betont Grzegorczyk. Der Mandatszeitraum eines Betriebsrats betrage vier Jahre, erläutert er. „In diesem Zeitraum haben die Betriebsratsmitglieder ein Anrecht auf Schulungen zur Betriebsverfassung.“ Die Seminare sind laut Gesetz arbeitgeberfinanziert: Die jeweilige Firma muss also für Seminargebühren, Reise und Unterbringung aufkommen; zudem muss der Lohn an den Tagen der Freistellung weitergezahlt werden.

 

Widerstandsfähiger gegen Krisen

 

Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es in der deutschen Games-Branche noch vergleichsweise wenige Betriebsräte. Zu den bekanntesten Games-Firmen mit Betriebsrat zählen EA Deutschland, Nintendo of Europe, Microsoft Deutschland, Bigpoint und Deck13 Interactive. Was nicht heißt, dass nicht auch andernorts versucht worden wäre, eine Interessenvertretung für ArbeitnehmerInnen zu gründen. „Es gibt in der deutschen Games-Branche Firmen, die aktiv versucht haben, eine Betriebsratsgründung zu verhindern“, kritisiert GWU-Sprecher Philipp – und nennt als Beispiel die Vorkommnisse bei Goodgame Studios im Jahr 2015. „Damals fand bei der Firma eine Betriebsratswahl statt“, berichtet er. „Kurz darauf wurden Leute entlassen, die aus Unternehmenssicht Unruhe gestiftet hatten.“ Der Konflikt fand auch in etlichen Medien Widerhall – und trug nicht wirklich dazu bei, das Image der (damals noch weniger etablierten) Games-Industrie zu fördern. Details zu aktuellen Beratungsanfragen aus der deutschen Games-Branche will der GWU-Mann übrigens aus gutem Grund nicht preisgeben: Schließlich sollen die InitiatorInnen ihre Betriebsratsgründungen ohne Störfeuer aus der Chefetage vorbereiten können.

Wind dreht sich
Bei ver.di plant man derweil, das Engagement in der Games-Branche auszubauen. „Ver.di ist fest verankert in der IT, Kunst und Kultur“, sagt Johannes Brückner. „Die Games-Branche befindet sich an der Schnittmenge dieser Bereiche. Es ist also nur folgerichtig, dass wir auch hier präsent sind.“ Brückner ist Tarifsekretär in der Bundesverwaltung der Gewerkschaft – und beobachtet die Entwicklung in der Games-Industrie genau. „Wir wissen: In Branchen, in denen Gewerkschaften stark sind, Betriebsräte und Tarifverträge selbstverständlich, sind Beschäftigte zufriedener und in der Folge Unternehmen innovativer und widerstandsfähiger gegen Krisen“, sagt er. „Vertrauen, Transparenz und Sicherheit gegenüber Beschäftigten zahlen sich langfristig immer mehr aus als der quartalsweise Blick auf ROIC und Shareholder Value.“ Mit der jüngste Entlassungswelle hätten viele Game-Devs gemerkt, dass sich der Wind drehe, so Brückner: „Wer auf sich alleine gestellt ist, hat es zunehmend schwerer.“

In Teil 2 unseres Specials (IGM 06/2024) beleuchten wir, wo ver.di, GWU und andere Organisationen die größten „Mitbestimmungsbaustellen“ sehen. Dafür schauen wir auch hinüber nach Polen. Veranstaltungstipp: Bei der Digital Dragons in Krakau (19. bis 21. Mai) sind Trade Unions ein Schwerpunktthema. (Achim Fehrenbach)

IGM 05/24
Jedes Spiel hat seine besonders intensiven, emotionalen Momente, an die wir uns gerne erinnern. Der Aufstieg zum Berggipfel in Journey, das Ende von The Last…
Jederzeit, nur an Checkpoints oder vielleicht gar nicht: Spei­cher­funktionen beeinflussen den Spielspaß maßgeblich. IGM wirft einen Blick auf die individuelle…
Kochen und Reisen sind zwei meiner liebsten Leidenschaften, und japanische Gyoza gehören zu meinen absoluten Favoriten. Während unserer Japanreise vor einigen…